Albanien 2018 – Teil 1: Hessisches Fachwerk und die andere Elbe

Prolog

Wohin? Das war auch in diesem Jahr die große Frage. Spanien hatte ich im Hinterkopf gehabt, dort hätte der Junior wunderbar seine in der Schule gelernten Fremdsprachenkenntnisse anwenden können. Italien mit Venedig und Rom waren mal unsere Ideen, und vielleicht auch Athen – einmal zur „richtigen“ Akropolis statt nur zur Walhalla. Eigentlich gibt es so viel, was ich dem Junior noch von der Welt zeigen wollte, doch der hat sich inzwischen einen neuen Freundeskreis gesucht und seine Begeisterung für das Bulli-Reisen mehr oder weniger gänzlich verloren. :'(

Somit schied mein Lieblingsbeifahrer für den Sommer aus. Ich wollte gerne wieder möglichst lange auf Achse sein, und einen Mitfahrer mit genügend Zeit zu finden, war nicht möglich. Entweder waren alle bereits anderweitig verplant, mussten arbeiten oder hatten keine Lust auf eine drei- bis vierwöchige Reise.

Albanien hatte mich vor zwei Jahren komplett in seinen Bann gezogen, und ich hatte auf meiner Tour Menschen getroffen, mit denen eine echte Freundschaft entstanden ist. „Wann kommst Du mal wieder?„, wurde ich in den letzten beiden Jahren häufig gefragt, und ein wenig Sehnsucht nach diesen liebgewonnenen Menschen und dem Land ansich habe ich auch. Also werde ich zurückkehren in das Land der Skipetaren und mir die andere Hälfte des Landes anschauen, welches ich 2016 aus Zeitgründen nicht geschafft hatte.

Freitag der Dreizehnte

Freitag, 13.07.2018

Es gibt einen Fixpunkt in meiner Reise, und der nennt sich „der Engländer“. Bereits 2016 hatte ich diesen Zwangspunkt, weil ich versprach, ihn bei einem Eishockeyspiel in Frankreich zu besuchen, was meine Zeit auf dem Balkan durchaus ein wenig einschränkte. Dieses Jahr hat er sich am 10. August zu einem Hamburg-Besuch angekündigt, was erneut meine Zeitplanung der diesjährigen Sommerreise zumindest am Ende ein wenig einschränkt. Bis Donnerstag musste ich noch arbeiten, am heutigen Freitag, dem 13., schlafe ich mich noch einmal richtig aus und erledige noch eine Menge bürokratischen Bürokram, den der Staat einem regelmäßig aufoktruiert, sodass ich am morgigen Samstag die Reise beginnen könnte.

Nun bin ich eigentlich ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht und nicht viel auf Aberglauben gibt. Etwas anders sieht es beim Freitag, dem 13. aus, da ich damit schon mehrmals schlechte Erfahrungen gemacht habe (was vermutlich aber eher dem Zufall geschuldet ist). Dennoch sitze ich am Abend an meinem Schreibtisch und bin dabei, den Bürokrams zu beenden, als ich ein stetiges Klopfen vernehme. Zuerst klingt es, als wenn die Holzanrichte unter der Sonneneinstrahlung von aussen etwas arbeitet, doch das Klopfen bzw. Knacken hält an, nimmt kein Ende und wird intensiver. Also gehe ich zur Anrichte auf der anderen Seite meines Zimmers, um sie durch Gegentreten o.ä. zu beruhigen, als ich plötzlich einen Wassertropfen abbekomme. Es regnet. In meinem Wohnzimmer! Da ist ein Loch in der Decke, aus dem es tropft und ein paar Sekunden später anfängt zu strömen. Wie ein Wasserfall. Ich hetze in die Küche, um einen Eimer zu holen, und patsche in eine riesige Pfütze. Aus der Decke ergiessen sich an zwei gegenüberliegenden Stellen regelrechte Wasserfälle! Hilfe!

Die Bewohnerin über mir hat sich vermutlich Wasser zum Abwaschen einlaufen lassen und sich dann gemütlich ins Wohnzimmer begeben, bis sie selber nasse Füsse bekam. Erst nach rund zehn Minuten lässt der Regen nach und es tröpfelt nur noch, dennoch bin ich ununterbrochen am Eimer ausleeren, Möbelrücken und Wischen. So hatte ich mir den Abend vor meinem Urlaub nicht vorgestellt.

Viele Lebensmittelpackungen, die ich für die Reise bereits in der Küche in Tüten verstaut hatte, sind komplett durchgeweicht, da sich die Papiertüten, die man jetzt statt Plastiktüten im Supermarkt bekommt, unter Wassereinfluss mehr oder weniger komplett auflösen. Und eventuell wird sich die Hausverwaltung am Montag bei mir melden. Klasse, der Urlaub fängt ja super an. Ich verbringe den Samstag mit Aufräumen und den Sonntag mit Sachen packen anstatt bereits im Bulli zu sitzen und auf dem Weg in den Süden zu sein.

Lieber spät als nie

Montag, 16.07.2018

Mit zwei Tagen Verspätung kann es heute losgehen. Das Beladen des Didimobils nimmt mal wieder mehr Zeit in Anspruch als gewollt, die Lebensmittel für die Reise werde ich auf dem Weg einkaufen. Um 14 Uhr ist der Bulli fertig gepackt, eigentlich muss ich nur noch zur Bank und zur Post, den bürokratischen Bürokram an den Staatsapparat schicken, doch Briefmarken bekommt man erst wieder ab 15 Uhr – die Post hat drei Stunden Mittagspause (POST – Personen Ohne Sinnvolle Tätigkeit).

Das Didimobil ist nicht ganz gesund. Bereits seit rund 10.000 Kilometern ist es inkontinent und verbraucht permanent Wasser. Vor einem Monat hatte ein Bekannter von mir festgestellt, dass der Wasserverlust vermutlich an einer undichten Zylinderkopfdichtung liegen wird. Wie es der Zufall so will, ist mein Autoschrauber erst krank und hat jetzt Urlaub. Der Kühlwasserbehälter ist wie so oft leer, also schnell einen Liter Wasser auffüllen. Ölstand stimmt. Jetzt schnell noch zum Autozubehörhöker und einen 5-Liter-Kanister Kühlflüssigkeit besorgen und anschließend zum Supermarkt, ungekühlt haltbare Lebensmittel besorgen.

Durch Zufall schaue ich nach dem Einkaufen noch einmal nach dem Wasserstand: Ich Trottel habe vergessen, den Deckel wieder auf den Behälter zu schrauben. Wieder nach Hause, auf dem Parkplatz liegt er nicht (mehr). Panzertape muss also fürs Erste den Deckel ersetzen. Ob das wohl gut geht?

Im Internet bekomme ich den Tip, in Hollenstedt gebe es einen Bulli-Spezialisten, der so einen Deckel vorrätig haben sollte. Der hat nur bis 18 Uhr geöffnet. Google schlägt eine Ankunft um 17:40 vor. Das arme Didimobil muss auf der Autobahn alles geben, um 17:48 erreiche ich den Händler und er hat tasächlich noch einen passenden Deckel rumliegen. Am Montag um 18 Uhr kann also der Urlaub endlich beginnen.

Verden an der Aller

Verden an der Aller

Entlang der Bundesstraßen arbeite ich mich in Richtung Süden vor. Gegen 19:15 erreiche ich Verden an der Aller. Obwohl die Stadt vom Namen her keine Unbekannte ist und auch nur zwei Autostunden von zu Hause entfernt liegt, bin ich bislang nur einmal mit dem Zug durchgefahren. Auf den ersten Blick macht sie einen ganz interessanten Eindruck, aufgrund der bereits sehr weit vorangeschrittenen Zeit belasse ich es bei einem Blick auf die Skyline und setze sie auf eine To-Do-Liste für kommende Touren.

Gas- und Dampfkraftwerk "Robert Frank", Landesbergen

Gas- und Dampfkraftwerk „Robert Frank“, Landesbergen

Weiter in den Abend hinein fahre südwärts über Nienburg, Minden und Rinteln, und erreiche den Wohnmobilstellplatz in Bad Pyrmont um kurz vor 22 Uhr. Im Ort sind sogar noch einige Restaurants geöffnet, der Platz wird als super in der ProMobil-Stellplatz-App beworben. Leider sind die Toiletten über Nacht geschlossen, und Bäume/Gebüsche für das kleine Geschäft rar oder sehr ungünstig gelegen.

Ich packe meine Sachen wieder und fahre zum Wohnmobilstellplatz am Schiedersee, den ich gegen 22:30 erreiche. Für 12,50€ die Nacht steht man in erster Reihe mit herrlichem Blick auf den See, nebenan gibt es tolle Spielmöglichkeiten für Kinder. Gerade für Familien ein durchaus empfehlenswerter Platz und mit sanitären Einrichtungen, die die gesamte Nacht über geöffnet haben.

Wohnmobilstellplatz am Schiedersee

Wohnmobilstellplatz am Schiedersee

Die falsche Elbe

Dienstag, 17.07.2018

Ich habe herrlich geschlafen. Um neun wache ich auf, es ist angenehm warm draußen und die Sonne scheint. Nach der herrlichen Dusche (ein Euro für acht Minuten) erkunde ich die direkte Umgebung noch ein wenig, am Schiedersee ist in bester deutscher Verordnungsmanier leider fast alles verboten, was Spaß macht, ausser man ist Mitglied im Ruderclub oder bezahlt Eintritt zum Freizeitzentrum.

Willkommen in Deutschland: Verbote am Schiedersee

Willkommen in Deutschland: Verbote am Schiedersee

Irgendwie habe ich keine so rechte Ahnung, wo ich eigentlich genau bin. Der Junior ist mit einem Kumpel im Urlaub in Split und meldete sich bereits am Wochenende bei mir, ob ich nicht vor Sonntag auf ein Bier vorbeikommen könnte, wenn ich schon in die grobe Richtung unterwegs sei. Das hatte ich so gar nicht auf dem Schirm, ich wusste nicht einmal, dass er überhaupt in Urlaub fährt. Split ist zwar kein wirklicher Umweg, aber ein oder zwei Nächte Zeit kostet das dann schon. Ich bin hin- und hergerissen und weiß noch nicht genau, ob ich das machen soll oder auch möchte. So fahre erst einmal Richtung Süden, die grobe Richtung ist Hochstahl – Linz.

Ja sind wir im Wald hier?

Ja sind wir im Wald hier?

Bei Volkmarsen in der Nähe von Kassel erspäht mein durch Schottland geschultes Auge eine Burgruine. Es handelt sich um die Kugelsburg, von der man einen schönen Blick über die Stadt hat. An Wochenenden gibt es hier die Möglichkeit, sich am Ritterleben zu beteiligen und Kurse in Schildbau, Bogenschiessen oder Rüstungsbau zu belegen.

Didimobil vor der Kugelsburg

Didimobil vor der Kugelsburg

Rund zehn Kilometer südlich von Volkmarsen thront eine stattliche Kirche über einer recht ursprünglich aussehenden Fachwerkstadt. Es ist zwölf Uhr mittags, und der Anblick der Skyline von Wolfhagen hat mein Interesse geweckt. Ich parke den Bulli am Stadtpark und mache mich auf zu einer Erkundungstour des schicken Städtchens. Es erinnert mich sehr an Rothenburg ob der Tauber, nur etwas kleiner, etwas anders und weit weniger Touristen (obwohl bei unserem Besuch im letzten Jahr ebenfalls sehr wenige Touristen dort anzutreffen waren).

Wolfhagen

Wolfhagen

Die Innenstadt von Wolfhagen mit ihren historischen Fachwerkhäusern ist vorbildlich gepflegt, auf dem Kirchplatz fühle ich mich irgendwie an das Elsass erinnert, obwohl ich dort noch nie gewesen bin. Hier findet man auch einen Brunnen mit einer Bronzestatue eines Wolfes, der als Wolf, aber auch als Werwolf in einer von vielen Legenden und Sagen rund um die Stadt Wolfhagen vorkommt.

Brunnen mit Wolfstatue vor der evangelischen Kirche, Wolfhagen

Brunnen mit Wolfstatue vor der evangelischen Kirche, Wolfhagen

Nach einer halben Stunde habe ich den Stadtrundgang durch die 13.000-Einwohner-Stadt beendet, noch habe ich keinen großen Hunger und mit Glück schaffe ich es noch so rechzeitig nach Hochstahl, dass ich am bekannten Brauereigasthof noch etwas zu Essen ergattern kann. Dennoch bleibt Wolfhagen eine durchaus sehenswerte Kleinstadt und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich dieser einen Besuch abstatte.

Altes Rathaus, Wolfhagen

Altes Rathaus, Wolfhagen

Zwanzig Minuten später komme ich durch den kleinen Ort Züschen, der im Jahre 2000 sein 900stes Jubiläum feierte. Ansich nichts Besonderes, es gibt einen kleinen historischen Stadtkern und zwei Brücken über die Elbe. Über die Elbe? Richtig. Hier, mitten in Hessen, in dem 1.000-Einwohner-Ort Züschen, steht ein kleines Holzschild neben einer Brücke über einen sehr kleinen Fluss und verkündet stolz, dies sei die Elbe. Mein Heimatfluss. Oder auch nicht. Wenn man statt über die Autobahn einfach der entsprechenden Himmelsrichtung über kleine Landstraßen folgt, lernt man die eigene Republik am besten kennen. Und jetzt weiss ich auch: Es gibt noch eine zweite Elbe. Und auch wenn es nicht die „richtige“ Elbe ist, so habe ich diesen kleinen Bach doch in mein Herz geschlossen. 😉

Brücke über die Elbe bei Züschen, Hessen

Brücke über die Elbe bei Züschen, Hessen

Kurz nach der Elbe kommt mir die Straße irgendwie bekannt vor, aber viele Gegenden hier sehen sich ähnlich. An einer größeren Straßenkreuzung erkenne ich dann eine Tankstelle wieder, hier haben der Junior und ich auf einer unserer Touren schon einmal getankt und ein Eis gegessen. Ich bin auf der B254 bei Alsfeld, kurz hinter Neukirchen am Knüll, wo wir bereits zwei Mal auf dem WoMo-Stellplatz übernachtet haben.

Ich folge der bekannten Route ein Stück bis Fulda, wo ich nach Osten Richtung Wasserkuppe abbiege und damit wieder „Neuland“ betrete. Damals sind wir über die B27 weiter Richtung Süden gefahren. Unterwegs sehe ich einen Wegweiser, und da gibt es kein Halten mehr für mich: Ich muss nach Dietershausen, „meinem“ Ort. Ja, richtig, meine Eltern haben mich eigentlich Dieter genannt. Fanden sie toll, ich bin da eher nicht so begeistert von, und so nennen mich seit Jahrzehnten eigentlich alle nur Didi. Daran habe ich mich gewöhnt. 🙂

Dieter "Didi" Wöhrmann in Dietershausen :)

Dieter „Didi“ Wöhrmann in Dietershausen 🙂

Noch vier Stunden bis nach Hochstahl, sagt Google Maps. Seit drei Monaten habe ich ein neues Mobiltelefon, und somit ist der Befehlston von „Adolfs kleiner Schwester“ Vergangenheit, und ich muss mich erst einmal an die übertriebene Freundlichkeit der neuen Dame gewöhnen (falls jemand weiss, wie man die vier bis fünf Jahre alte „Blechstimme“ von google maps auf aktuelle Versionen laden kann, wäre ich für einen Tip dankbar… 🙂 ). Dennoch kennt sie tolle kleine Straßen und Abkürzungen, und so lasse ich mich ob der vorangeschrittenen Zeit von ihr in die Fränkische Schweiz navigieren.

Unterwegs zwischen Kassel und Franken

Unterwegs zwischen Kassel und Franken

Die Fränkische Schweiz kündigt sich mit kleinen Landstraßen und wunderschöner Hügellandschaft an. Ich komme dieses Mal von Westen, eine Strecke, die ich zuvor noch nie nach Hochstahl gewählt habe.

Eines der Markenzeichen der Fränkischen Schweiz: Schlösser und Burgen

Eines der Markenzeichen der Fränkischen Schweiz: Schlösser und Burgen

Gegen 19 Uhr erreiche ich den Wohnmobilstellplatz am Brauereigasthof Reichold. Ich mache noch einen kurzen Spaziergang durch den kleinen Ort und lasse den Abend bei leckerem Braten und ein oder zwei Zwickel ausklingen.

Abendstimmung auf dem WoMo-Stellplatz Hochstahl

Abendstimmung auf dem WoMo-Stellplatz Hochstahl

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