Eine Seefahrt, die ist lustig
Montag, 15.08.2016
Um sieben Uhr klingelt der Wecker. Die beiden Jungs aus Erfurt haben ihre erste Bulli-Nacht genossen und auch mich holte der Wecker aus dem Tiefschlaf. Um acht Uhr sollen wir am Fähranleger sein. Bei nur einem Badezimmer für uns drei plus drei andere Campingplatzgäste eine zeitliche Herausforderung, die wir mit Bravour meistern. Das Didimobil vom Strom trennen, alle Sachen wieder verstauen und um kurz vor acht geht es dann los zum nur wenige Minuten entfernten Schiffsanleger.
Am Ende des nahezu unbeleuchteten Tunnels herrscht bereits reges Treiben auf der viel zu kleinen Anlegestelle. Zahllose Kleinbusse sind bereits dort und laden Fährpassagiere samt ihrem Hab und Gut aus oder sammeln die ersten Fahrgäste ein, Kleinlaster rangieren hin und her und mittendrin Fußgänger, PKW und tonnenweise Gepäck. Auch wir müssen erst ein paar Male hin und herrangieren – rein in den Tunnel, wieder raus aus dem Tunnel, nach links, nach rechts, bis man uns frühzeitig einen Platz auf der Fähre mit dem Namen der Burg aus Shkodër zuweist: Rozafa.
Die Fähre wirkt wie eine Eigenkonstruktion, es passen vielleicht 15 Fahrzeuge rauf, die Planken sind aus Holz und mit viel Spielraum zusammengezimmert, sodass man durch die Lücken das Wasser unter uns sehen kann. Neben uns steht noch eine weitere, in etwa baugleiche Fähre. Sie wirkt nur wenig seetauglicher als die unsere.
An Land befindet sich noch ein kleines Restaurant mit angegliedertem Hotel. Da noch eine gute halbe Stunde Zeit bis zur Abfahrt ist, frühstücken wir dort erst einmal. Omelette bedeutet hier so viel wie lauwarmes Spiegelei auf Weißbrot. Nicht der Brüller, der Hunger treibt es rein. Ein erfrischendes Ivi dazu, und dann zurück zum Schiff. Nicht, dass es versehentlich ohne uns ablegt.
Um neun Uhr steht die Rozafa immer noch am Anleger. Inzwischen hat sich das Bus-Boot dazugesellt, ein auf einen Bootsrumpf geschraubter Linienbus. Das Bus-Boot ist für die Einheimischen gedacht, transportiert nur Fußgänger und hält auf Zuruf an den Ufern des Koman-Sees an. Als der See 1985 geflutet wurde, verloren zahlreiche Dörfer ihre Straßenverbindungen mit der Außenwelt. Seitdem sind diese Dörfer ausschließlich auf dem Wasserweg erreichbar.
Das Bus-Boot legt wieder ab, „pünktlich“ um 9:22 verlässt auch unsere Fähre den Anleger in Koman und steuert auf den fjordartigen, von hohen Bergen umgebenen See hinaus.
Viele Reiseführer vergleichen eine Fahrt über den Koman-See mit einer Fährfahrt durch Norwegens Fjorde, vielfach wird sie nach den Hurtig-Routen zur zweitschönsten Fährfahrt der Welt ernannt.
Das offene Oberdeck der Fähre ist voll mit Touristen, sehr viele Franzosen sind dabei – aber alles angenehme Landsleute.
Drei Stunden soll die Überfahrt bis Fierzë dauern. Rechts um die Kurve, eng an den Felsen vorbei. Die Sonne macht sich bereits kräftig bemerkbar, der Fahrtwind trägt zur angenehmen Erfrischung bei. Schade, dass es keine Liegestühle gibt.
Nach einer guten halben Stunde Fahrt entlang von bewaldeten Hängen auf türkisfarbenem Wasser holt uns die Berisha ein. Beide Fähren gehören dem gleichen Betreiber und sind nahezu ausgebucht. Sie sind die einzige Möglichkeit am Tag, mit einem Fahrzeug den See zu überqueren.
Kurvenreich schlängelt sich der See zwischen immer höher und steiler aufragenden Bergen hindurch. Ab und an passieren wir ein paar Niederungen; hier liegen kleine Boote und an den Hängen sieht man Esel Lasten zu den weiter oben gelegenen Häusern transportieren. Ein Leben wie vor 100 Jahren, mit dem einzigen Unterschied, dass die Landanbindung erst vor dreißig Jahren gekappt wurde und die Boote bereits Benzinmotoren haben.
Immer enger rücken die Berge an das Schiff heran, die Wälder weichen Steilwänden von mehreren hundert Metern Höhe. Überall gibt es kleine Nebenarme des Sees, gefühlt fährt die Fähre ständig in irgendwelche Sackgassen, die in noch schmaleren, erst auf den letzten Metern sichtbare Engstellen führen. Teilweise hat der See keine hundert Meter an Breite mehr.
Die Reiseführer haben recht, die Fährfahrt über den Koman-See gehört sicherlich zu den schönsten und beeindruckendsten Schiffsfahrten der Welt. Auch die beiden Erfurter sind begeistert und sichtlich froh, den Bus nach Lepushë verpasst zu haben.
Bis vor zwei Jahren verkehrte eine altersschwache Autofähre eher unregelmäßig über den See, bis diese aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde. Seit 2015 bieten die beiden kleineren Schiffe Rozafa und Berisha einen mehr oder weniger zuverlässigen Fährbetrieb, der seit der Inbetriebnahme der Autobahn Kosovo – Tirana fast ausschließlich touristischen Zwecken dient. Die ehemalige Fähre macht einen nicht wirklich seetauglichen Eindruck, wird aber nach wie vor als Lastenfähre genutzt.
An seiner tiefsten Stelle ist der Koman-See bis zu 96 Meter tief, mit rund 500 Millionen Kubikmetern Staufläche ist der See jedoch der Kleinste in der Kaskade der drei Drin-Staustufen Fierza-See, Koman-See und Vau-Deja-Stausee. Im Vergleich zu den meisten Flüssen Albaniens erscheint der See trüb und milchig.
Auf der Fähre lernen wir zwei bezaubernde Österreicherinnen kennen. Die Beiden sind zu Fuß und per Anhalter auf dem Weg nach Valbonë, einem idyllischen Bergtal auf der gegenüberliegenden Seite von Theth. Beide Orte sind über eine sehr beliebte Wanderroute miteinander verbunden und in einem Tagesmarsch erreichbar. Ihr Auto haben sie in Shkodër stehen gelassen, wollen morgen zu Fuß nach Theth und von dort mit dem Bus zurück nach Shkodër. Da die beiden Jungs in Bajram Curri, der nächstgelegenen Stadt, mit dem Bus nach Tirana aufbrechen wollen, biete ich an, die Beiden ebenfalls bis dorthin mitzunehmen.
Nach etwa dreieinhalb Stunden erreichen wir den Anleger bei Fierzë. Dieser besteht lediglich aus einem breiten, flach ins Wasser abfallenden Streifen Land. Entladen wird die Fähre rückwärts, über die steile Rampe auf den schotterigen Untergrund. Dem Didimobil mit seinem Heckantrieb kommt das sehr gelegen. Interessanter Weise ernten wir Applaus, weil wir ohne Müh‘ und Not in einem Zug von der Fähre gekommen sind. Die waren wohl alle noch nie in Albanien? 😉
Bajram Curr ist etwa 20 Autominuten vom Fähranleger entfernt und versprüht noch immer den Charme des Kommunismus. Abgelegen vom Rest des Landes fristet die 5.400 Einwohner große Gemeinde ein eher klägliches Dasein, die nächstgrößere Stadt Kukës ist auf annehmbaren Straßen nur über den Kosovo erreichbar, Shkodër in fünf Stunden über die einmal täglich verkehrende Koman-Fähre.
Den Busbahnhof finden wir schnell, mehrmals täglich fahren Busse nach Tirana – und nehmen ebenfalls die längere Route über den Kosovo. Von den beiden Erfurter Jungs heißt es hier Abschied nehmen – dreieinhalb Tage waren sie eine tolle Reisebegleitung. Ihre Erlebnisse auf ihrer Reise haben sie ebenfalls in einem lesenswerten Blog niedergeschrieben, welcher unter sebantonstrip.blogspot.de erreichbar ist.
Ich bin unentschlossen, wie es für mich weitergehen soll. Spontan entscheide ich mich, die beiden Österreicherinnen nach Valbonë zu fahren, soll schließlich auch sehr schön sein dort. Als „Revanche“ muss ich mich zum Essen einladen lassen.
Die Straße ist nahezu perfekt ausgebaut und windet sich immer entlang des türkisfarbenen Valbona-Flusses aufwärts bis ans Ende des Tals. Kaum Verkehr, und wie bereits aus den albanischen Alpen bekannt, lauert hinter jeder Kurve ein neuer „Whow!“-Eindruck. Die Idee war goldrichtig, hier hinaufzufahren.
Bereits drei Kilometer vor Valbonë gibt es ein empfehlenswertes Gasthaus. Leider ist für die Mädels kein Zimmer mehr frei, zu essen bekommen wir dennoch vorzüglich. Ein anderes Gasthaus etwas weiter die Straße hinauf wird jedoch sofort empfohlen, und so steuern wir dieses an. Man war bereits auf die Ankunft der beiden Mädels vorbereitet, und dementsprechend herzlich ist der Empfang. Die Gastfreundschaft in diesem Land ist unbeschreiblich.
Die letzten zwei Kilometer bis zum hiesigen Ende der Welt fahre ich sehr langsam. Ich könnte auch einfach anhalten und stundenlang nach vorne aus dem Didimobil blicken. Es hat etwas von Kanada, Rocky Mountains vielleicht. Saftig grüne Tannen, rundherum Kies- und Steinböden und im Hintergrund die 2.500er der albanischen Alpen. Fantastisch, majestätisch.
Am Ende der Straße befindet sich ein großes Hotel, welches vom Baustil tatsächlich nach Skandinavien oder Kanada passen würde. Viel Holz und Naturstein, im Biergarten ist wieder einmal eine große Hochzeit und generell macht es einen sehr gut besuchten, aber teuren Eindruck. Einen Campingplatz, so erzählt man mir, gäbe es dort auch.
Ich behalte das Hotel im Hinterkopf, möchte aber noch einmal vor Einbruch der Dunkelheit die tolle Landschaft genießen und fahre noch einmal ans andere Ende des Dorfes. Unterwegs sehe ich einen kleinen Campingplatz mit kleinem Gasthaus. Sieht einladend aus, ich kann für umgerechnet sieben Euro mit Strom und Dusche die Nacht dort bleiben. Essen gibt es auch noch, große Portion hausgemachte Pommes für 1,50€ und Bier für einen Euro. Einzig die nächtliche Kälte sorgt dafür, dass ich zeitig ins Didimobil verschwinde.