Von Kassel nach Wetzlar

Heute treibt es mich weiter hinein in das weithin unbekannte Bundesland Hessen. Von der Autobahn A5 aus fiel mit letztens eine riesige Burgruine auf. Mit Hilfe von Google Earth konnte ich die Burgruine später als Burgruine Münzenberg mit ihren zwei markanten Bergfrieden identifizieren. Um kurz nach zehn bin ich reisefertig und verabschiede mich von dem herzlichen Betreiberehepaar des Campingplatz Beiseförth.

Morgens auf dem Campingplatz Beiseförth

Morgens auf dem Campingplatz Beiseförth

Der Himmel ist nach dem Regenschauer gestern wieder strahlend blau, eine wirkliche Abkühlung hat das bisschen Niederschlag nicht gebracht. Mit offenen Fenstern und der Analog-Klimaanlage meiner Dreiecksfenster lässt es sich aushalten, und so fahre ich über verkehrsarme Landstraßen fernab der Autobahnen durch einen Teil Deutschlands, den man sonst nur auf einer schnellen Tour über die Autobahn durchquert.

Irgendwo in Hessen

Irgendwo in Hessen

Unterwegs komme ich an einem Festival-Gelände vorbei. Das gesamte Wochenende über wird in Loshausen das World Music Festival stattfinden, die ersten Festivalgäste sind bereits am Anreisen. Meinen Bulli will man auch sogleich aufs Festival-Gelände lenken. Ich überlege kurz, entscheide mich dann aber doch dazu, meine Reise fortzusetzen. Ganz alleine auf ein Festival zu gehen ist irgendwie eher suboptimal.

Alsfeld

Nach knapp zwei Stunden macht sich bei mir langsam aber sicher ein wenig Harndrang bemerkbar. Ohne Hintergedanken steuere ich Alsfeld an in der Hoffnung, dort ein Café zu finden. Dann könnte ich meine Blase auch gleich wieder auffüllen. Auf der Suche nach einem Parkplatz stehe ich das erste Mal so richtig im Stau. Zehn Minuten für 200 Meter. Alsfeld spielt sich verkehrstechnisch auf wie die schönste Stadt der Welt. Immerhin verschafft mir das Zeit, nach einem geeigneten Parkplatz für das Didimobil Ausschau zu halten. In einer Nebenstraße direkt an einem Café werde ich fündig und darf zwei Stunden mit Parkscheibe verweilen.

Alsfeld Kino

Kino Alsfeld

Erleichtert und um einen Kaffee wieder voller erkunde ich ob des kostenlosen Parkplatzes noch schnell die Stadt. Gefühlt gibt es den Namen Alsfeld häufiger, vermutlich verwechsel ich ihn aber auch nur mit Alfeld ohne „s“. Ich komme an einem Kino im Art Deco Stil vorbei. Gefällt mir, sowas sieht man nicht (mehr) alle Tage. Früher ging ich regelmäßig jede Woche ins Kino, inzwischen war ich etliche Jahre nicht mehr da. Sollte ich vielleicht mal wieder ändern.

Alsfeld, Mainzer Gasse

Alsfeld, Mainzer Gasse

Dreifaltigkeitskirche, Alsfeld

Dreifaltigkeitskirche, Alsfeld

Kurz darauf biege ich in die Fußgängerzone ein und finde mich direkt am Beginn einer weiteren herrlichen Fachwerk-Altstadt wieder. Interessanter Weise sind in der gesamten Stadt bunte Hüte quer über die Straßen gespannt. Erinnert irgendwie an Karneval, aber jetzt im Sommer?

Marktplatz Alsfeld

Ich komme zum Marktplatz, dem zentralen Platz einer jeden mittelalterlichen Stadt. Wie schon vor ein paar Tagen in Fritzlar findet auch hier heute ein Wochenmarkt statt, welcher das Gesamterscheinungsbild ein wenig trübt. Kleiner Spoiler: Es soll nicht der letzte Wochenmarkt auf dieser Reise sein. Immerhin gibt es am Weinhaus aus dem Jahre 1539 noch heute einen Pranger. Möge die Person, die mir ständig Marktstände in den Weg stellt, sich lieber nicht zu erkennen geben. 😉

Pranger Alsfeld

Pranger Alsfeld, im Hintergrund das Rathaus

Rathaus Alsfeld

Am Marktplatz befindet sich ebenfalls das sehenswerte Rathaus von Alsfeld mit seinen markanten Arkaden im Erdgeschoss und den Zwillingstürmchen auf dem Schieferdach. Erbaut wurde es zwischen 1512 und 1516 und dient als Vorbild für mehrere Bausätze im Modellbahnzubehör.

Marktplatz Alsfeld

Marktplatz Alsfeld …

... mit Wochenmarkt ...

… mit Wochenmarkt …

... und Rathaus. Links daneben das Weinhaus.

… Rathaus und Weinhaus.

Altstadt Alsfeld

Ich schlendere weiter am Rathaus vorbei, wo gerade eine Trauung stattfindet und wähne mich sogleich im Elisabethanischen Zeitalter in England. In der Oberen Fulder Gasse steht ein Haus aus dem 16. Jahrhundert, welches gut als Taverne zu Shakespeares Zeiten durchgehen könnte:

Erinnert an England: Tudor-Stil in der Oberen Fulder Gasse

Erinnert an England: Tudor-Stil in der Oberen Fulder Gasse

Im weiteren Verlauf der Oberen Fulder Gasse werden die Gebäude zwar wieder etwas heimischer, dafür aber nicht minder schief und krumm. Auf der Spitze des Leonhardturms, dem letzten erhaltenen Zeugnis der einstigen Stadtbefestigung, hat sich ein Storchenpaar niedergelassen.

Hüte, so weit das Auge reicht

Alsfeld

Untere Fulder Gasse mit Leonhardsturm

Untere Fulder Gasse mit Leonhardsturm

Eines der ältesten erhaltenen Wohnhäuser befindet sich am Amtshof in unmittelbarer Nachbarschaft zum Alsfelder Rathaus. Das windschiefe Haus hat drei Geschosse, welche zur Straße hin jeweils ein gutes Stück über das darunterliegende Geschoss hervorstehen.

Amthof 8, Alsfeld

Amthof 8, Alsfeld

Eine gute Stunde verbringe ich im wunderschönen Alsfeld, welches genau wie Homberg (Efze) unbedingt einen Abstecher von der nahegelegenen Autobahn A5 wert ist. Ich besorge mir noch ein Kaltgetränk für unterwegs, bei inzwischen wieder um die 30°C kommt der Kühlschrank im Didimobil durchaus an seine Grenzen, da er nur bei eingeschalteter Zündung unterwegs kühlt.

Alsfeld

Alsfeld

Nach fünf Minuten überquere ich die Autobahn A5. Ein Wegweiser weist Richtung Frankfurt am Main, eine Stadt, die mich schon immer fasziniert. Bislang habe ich es aber nicht geschafft, mehr als den Hauptbahnhof und das Stadion am Bornheimer Hang zu sehen. Mal schauen, vielleicht mache ich auf meiner Tour einen kleinen Abstecher nach „Mainhattan“.

Schloss Romrod

Weitere fünf Minuten später komme ich an einem prächtigen Schloss vorbei. Ein wenig erinnert mich Schloss Romrod an die hessische Wartburg, die der Junior auf der Vatertagstour 2016 entdeckte.

Schloss Romrod

Schloss Romrod

Das auf das 12. Jahrhundert zurückgehende Gebäude wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach um- und sogar fast komplett abgebaut. Heute beherbergt das markante Ensemble mit seinen schieferverkleideten Fachwerk-Wohntürmen ein Viersterne-Hotel, doch auch von aussen macht Schloss Romrod mit seinem nahezu fünfeckigen Grundriss einen erhabenen Eindruck.

Massive Südfassade: Schloss Romrod

Massive Südfassade: Schloss Romrod

Wohnturm in Fachwerk-Bauweise

Wohnturm in Fachwerk-Bauweise

Ich fahre weiter entlang der wenig befahrenen Bundesstraße B49, der meiste Verkehr verläuft auf der schnöden, parallel verlaufenden Autobahn A5. Entlang der Landstraße kommt man dafür durch so klingende Orte wie Mücke oder Flensburgungen. Der nächste Ort heißt Lich. Wie Licht, nur ohne „t“. Kommt mir irgendwie bekannt vor, ich kann den Ort bis ich wieder hinaus bin nicht zuordnen. Ach ja, fällt es mir später wieder ein, hier kommt also das Licher Pilsener her. Da sage noch mal einer, Bier bildet nicht. 😉

Kloster Arnsburg

Kurz hinter der Stadt mit dem Bier weckt eine kleine Straße mit einem Hinweis zum Kloster Arnsburg mein Interesse. Einen halben Kilometer später passiert das Didimobil einen Torbogen und steht mitten in einer historischen Klosteranlage. Es gibt einen recht vollen Parkplatz und ein Café, viele Fahrzeuge haben polnische Nummernschilder. Wirklich bewohnt sieht das Kloster auf den ersten Blick nicht aus, später werde ich zu Hause nachlesen, dass der Klosterbetrieb schon vor mehreren Jahrzehnten aufgegeben wurde.

Kriegsopferfriedhof, Kloster Arnsburg

Kriegsopferfriedhof, Kloster Arnsburg

Das Kloster ist halb intakt, halb Ruine. Im Innenhof des intakten Teils befindet sich ein Kriegsgräberfeld, auf dem Opfer des Zweiten Weltkriegs verschiedenster Nationen beigesetzt sind, darunter auch verstorbene Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus Polen, Ungarn, Rumänien oder Frankreich. Deshalb vermutlich auch die vielen polnischen KFZ.

Kapitelsaal, Kloster Arnsburg

Kapitelsaal, Kloster Arnsburg

Kriegsopferfriedhof

Kriegsopferfriedhof

Für zwei Euro kann man die Klosterkirche besichtigen – oder besser das, was von ihr übrig geblieben ist. 1803 wurde das Kloster im Zuge der Säkularisation aufgelöst und 1812 zum Abbruch verkauft. 1818 stürzte dann das Kirchengebäude in sich zusammen und existiert seit dem nur noch als Ruine, die vielen Künstlern bis heute Inspiration gab. Ein wenig erinnert mich die Ruine an die gut erhaltenen Ruinen in Butrint, und von den Temperaturen her ist es heute ebenfalls vergleichbar.

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Ruine Kloster Arnsburg

Burg Münzenberg

Inzwischen ist es 14:30 Uhr, Zeit, endlich eine Burg zu erobern. Schon nach wenigen hundert Metern tauchen die beiden Bergfriede der Burg Münzenberg am Horizont auf. Sieben Kilometer sind es bis zur Burgruine, die den gleichnamigen Ort überthront. Aufgrund der omnipräsenten Lage der Burgruine Münzenberg im Ort ist die Beschilderung zum Eingang oder dem Parkplatz nicht ganz eindeutig. Ich finde am Ende einer Wohnstraße einen größeren Parkplatz, welcher kostenlos ist, und wandere die 300 Meter hinauf zur Burg. Am Kassenhäuschen bezahle ich 3,50€ Eintritt, ein Familienvater nörgelt rum, da er auf Facebook irgendwann von irgendwas gelesen hätte, das es heute nicht gibt und er weiß noch nicht genau, ob er sich jetzt selber dafür rüffeln soll oder doch lieber einen Sündenbock zum Bepöbeln sucht.

Eingang Burgruine Münzenberg

Eingang Burgruine Münzenberg

Durch die Überreste eines Burgtores gelangt man in den Innenhof der Ruine. Ruhig ist es hier, der unzufriedene Vater versucht sich noch immer im Eingangsbereich an dem perfekten Instagram-Foto und scheucht Frau und Kinder mal nach links, mal nach rechts und mal wieder zum anderen Links. Ganz zum Leidwesen der mitgereisten Familienmitglieder.

Falkensteiner Bau, Palas von Philipp von Falkenstein, 1260

Falkensteiner Bau, Palas von Philipp von Falkenstein, 1260

Die 1162 errichtete Höhenburg gehört zu einer der bedeutendsten Burganlagen Deutschlands, deren wehrhafte Erscheinung bereits dem Dreißigjährigen Krieg nicht standhalten konnte und seit 1648 bereits nur noch als Ruine existiert. Den östlichen der beiden Bergfriede kann man heute besteigen und als Aussichtspunkt nutzen. Für den Didi mit seiner Akrophobie ist das nichts, zumal eine hölzerne Freitreppe quer durch den hohlen Turm nach oben führt.

Burg Münzenberg, Blick auf den Ostturm

Burg Münzenberg, Blick auf den Ostturm

So eine Burg zu erobern hatte ich mir ansich etwas spannender vorgestellt, und ausserdem ist hier fast alles kaputt. Nach einer knappen Stunde ziehe ich daher unvollendeter Dinge wieder ab, vielleicht findet sich unterwegs noch eine andere Burg zum Plündern. 😉

Wetzlar

Auf meiner Bucket-List stehen noch einige Orte im Lahntal. Marburg scheidet aus, da es dort eine dieser unsäglichen Umweltzonen gibt und sowohl Wohnmobilstellplatz als auch Campingplatz zwar direkt an der nicht betroffenen B3 liegen, die Zufahrt dennoch nicht gestattet ist. Dann lassen wir unser Geld eben woanders. Zum Beispiel in Wetzlar. Dort gibt es einen Campingplatz in Stadtnähe und keine Umweltzone. Gegen 17:15 Uhr bin ich am Campingplatz Wetzlar, es gibt noch ein Plätzchen mit Strom und der coole Rezeptionist ist ganz hin und weg, als er den Bulli sieht. 🙂

Domplatz Wetzlar

Dank des 9-Euro-Tickets ist die Busfahrt zurück ins Zentrum kostenlos, lediglich der Stadtbus vom Bahnhof in die Altstadt kostet 50 Cent – hier gilt das deutschlandweite 9-Euro-Ticket kurioser Weise nicht. Dafür bringt mich der Kleinbus direkt bis zum zentralen Domplatz vor dem Wetzlarer Dom.

Wetzlarer Dom

Wetzlarer Dom

Die Kathedrale (Dom bezeichnet ausserhalb Hamburgs meist ein größeres Gotteshaus und keine Kirmes) ist derzeit eingerüstet und wirkt eher wie eine ordinäre Kirche als wie ein Dom. Den Domplatz rund um die Kirche säumen – wie soll es anders sein – historische Fachwerkbauten en masse.

Domplatz/Fischmarkt, Wetzlar

Domplatz/Fischmarkt, Wetzlar

Krämerstraße, Wetzlar

Krämerstraße, Wetzlar

Alte Lahnbrücke

Vorbei am Rathaus bahne ich mir den Weg hinunter zur alten Lahnbrücke. Diese 104 Meter lange Steinbrücke aus dem 13. Jahrhundert ist eine der ältesten noch erhaltenen Brücken Hessens und eines der Wahrzeichen der 50.000-Einwohner-Stadt Wetzlar. Zusammen mit den mit Schiefger verkleideten Häusern auf der Altstadt-Seite kommt hier direkt mittelalterliches Flair auf.

Alte Lahnbrücke, Wetzlar

Alte Lahnbrücke, Wetzlar

Auf der Nordseite der Lahn gibt es einen sehr großen Biergarten mit Oktoberfest-Stimmung. Ich gehe weiter und versuche, über die neue Straßenbrücke der mehrspurigen Ausfallstraße wieder zurück Richtung Altstadt zu gelangen. Dies ist schwieriger als gedacht, aber nach etwas Improvisationstalent schaffe ich auch das und werde mit einem Blick über Alte Lahnbrücke und Altstadt belohnt.

Blick auf Wetzlar und die Alte Lahnbrücke

Blick auf Wetzlar und die Alte Lahnbrücke

Zurück in der Altstadt entdecke ich entlang des Mühlgrabens einen gar nicht so scheuen Reiher und eine Ente, wobei der Reiher ziemlich mitgenommen aussieht und die Ente ganz lässig auf einem Bein balanciert. Ob das hier normal ist?

Zerzauster Reiher und einbeinige Ente

Zerzauster Reiher und einbeinige Ente

 

Am Mühlgraben, Wetzlar

Am Mühlgraben, Wetzlar

Altstadt Wetzlar

Ich gehe wieder hinein in die Altstadt. Derzeit wird hier viel gebaut, die meisten Straßen sind bereits Fußgängerzone. Am südlichen Ende der Altstadt, unweit des Firmensitzes der weltbekannten Optikmarke Leica, befindet sich der Schillerplatz mit seinen zahllosen Cafés und Restaurants. Ich bin noch nicht wirklich hungrig und werde heute Abend das griechische Restaurant neben dem Campingplatz ausprobieren.

Wetzlar, Schillerplatz

Wetzlar, Schillerplatz

Blick zum Schillerplatz

Blick zum Schillerplatz

Bei noch immer fast 30°C schleppe ich mich noch entlang der Stadtmauer hinauf zum Kornmarkt. Auch hier findet heute kein Kornhandel mehr statt, sondern der Platz ist gesäumt mit gastronomischen Einrichtungen.

Kornmarkt, Wetzlar

Kornmarkt, Wetzlar

Kornmarkt, Wetzlar

Kornmarkt, Wetzlar

Ich laufe zurück zur Kirche bzw. zum Dom. Der Citybus kommt in zehn Minuten. Zum Bahnhof, von wo der Linienbus zurück zum Campingplatz fährt, sind es zu Fuß etwa 15 Minuten. Ich bin faul und warte auf den Citybus, für 50 Cent macht dieser noch eine fast halbstündige Stadtrundfahrt bis zum Bahnhof mit mir. Aber irgendwie bin ich platt, und der Bus hat eine Klimaanlage.

Zurück am Campingplatz bekomme ich den letzten Platz im griechischen Restaurant nebenan. Das Essen ist vorzüglich und die Preise fair. Im Bulli gibt es zum Abschluss eines erlebnisreichen Tages noch einen Absacker und gegen Mitternacht lege ich mich dann ins Bett.

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