Zwei UNESCO Weltkulturerbe-Stätten habe ich in den letzten Tagen bereits besucht, das Bergwerk Rammelsberg und die Altstadt von Goslar. Gemeinsam bilden diese beiden Orte das „UNESCO-Welterbe Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft„. Fehlt eigentlich nur noch das Oberharzer Wasserregal, dann hätte ich eines der größten vorindustriellen Wasser- und Energieversorgungssysteme der Welt ebenfalls erkundet und könnte behaupten, das Welterbe in seiner Gesamtheit besucht zu haben. Die Alternative wäre eine Wanderung durch das Bodetal im Ostharz, dem Grand Canyon (Nord)deutschlands.
Ich bin hin- und hergerissen, und so mache ich mich erst einmal auf den Weg zum Goslarer Bahnhof. Von hier gelangt man – mit mehrmaligem Umsteigen – in über zwei Stunden nach Treseburg, dem Beginn der bemerkenswerten Schlucht. Oder in 40 Minuten nach Altenau, von wo es viele Wanderwege entlang der Relikte des Oberharzer Wasserregals gibt. Ich entscheide mich spontan dafür, meinem Plan, den Westharz zu besuchen, treu zu bleiben und nehme den Bus nach Altenau. So ein deutschlandweites Monatsticket ohne Vorreservierung und festgelegter Verbindung ist eine wirklich tolle Sache und könnte die so oft gewünschte Verkehrswende massiv vorantreiben.
Fast bis auf den letzten Sitzplatz füllt sich der nur alle zwei Stunden verkehrende Linienbus in Richtung Okertal, es sind hauptsächlich Wanderer, die ihn benutzen. Wären die alle ohne 9-Euro-Ticket mit dem Auto gefahren, so hätte das zeitlich auf drei Monate befristete, staatlich geförderte Angebot seinen Zweck bereits mehr als erfüllt.
Das Königreich Romkerhall
Die Straße nach Altenau schlängelt sich am rechten Ufer der Oker entlang in Richtung Okertalsperre. Unterwegs erweckt ein hölzerner Aquädukt auf der anderen Seite des Flusses, welcher sehr an eine Wildwasserbahn aus einem Freizeitpark erinnert, meine Aufmerksamkeit. Das Internet ist hier im schmalen, tief eingeschnittenen Tal der Oker mal wieder Mangelware, und so steige ich in Romkerhalle – zusammen mit den meisten Wanderern – spontan aus.
Romkerhalle ist ein Wohnplatz, der zur Gemeinde Goslar zählt, und besteht aus einem Hotel-Restaurant, einem Wasserkraftwerk, einem verfallenen Haus sowie dem Romkerhaller Wasserfall. Seit 1988 ist Romkerhalle auch als Königreich Romkerhall bekannt, die damaligen Eigentümer der Gaststätte riefen das „Königreich Romkerhall“ aus, da sich die Gebäude auf gemeindefreiem Gebiet befinden. Das äußere Erscheinungsbild des Gasthauses hat tatsächlich etwas Märchenhaftes, wenn auch mit einem Fünkchen morbiden Charme.
Der Romkerhaller Wasserfall
Der Romkerhaller Wasserfall wurde im Jahre 1863 – zeitgleich mit der Gaststätte – künstlich angelegt. Der mit 64 Metern höchste Kunstwasserfall im Harz wurde ursprünglich nur am Nachmittag in Betrieb genommen, heute ist er rund um die Uhr „aktiv“, führt dafür aber entsprechend weniger Wasser. Der Romkerhaller Wasserfall mündet in ein kleines Auffangbecken gegenüber des Gasthauses, wo der König des Königreiches Romkerhall in Form eines Frosches darauf wartet, von einer Prinzessin wachgeküsst zu werden.
Das Okertal
Das Könireich Romkerhall ist heute Ausgangspunkt vieler Wanderwege. Einer dieser Wege führt durch das Okertal am Westufer der Oker zurück Richtung Goslar. Aufgrund mangelhafter und uneindeutiger Ausschilderungen im „Wanderparadies“ Harz habe ich anfangs Schwierigkeiten, den richtigen Weg ins Okertal zu finden. Ich entscheide mich für einen Weg direkt am Ufer der Oker und hoffe, dass dieser auch einen Zugang zu dem mysteriösen Aquädukt bietet, welchen ich aus dem Busfenster heraus gesehen habe.
Die Oker plätschert kniehoch gemächlich in ihrem Flussbett entlang. Einzig die in regelmäßigen Abständen aufgestellten Warnschilder lassen erahnen, dass sich der Fluss zweimal am Tag in einen reißenden Strom und ein Paradies für Wildwassersportler verwandelt. Dann nämlich öffnet das Wasserkraftwerk Okertal als Spitzenlastkraftwerk seine Pforten. Die genauen Zeiten lassen sich wöchentlich auf den Seiten der Harzwasserwerke einsehen.
Die Verlobungsinsel
Nach etwa 20 Minuten erreiche ich die Verlobungsinsel. Passend zu dem Namen steht ein leicht bekleidetes Pärchen knietief im Wasser und macht ein Fotoshooting. Ich betrete die Insel über die romantische Holzbrücke und bin irgendwie froh, den Frosch vorhin nicht geküsst zu haben. Nicht, dass ich mich nachher noch verloben müsste. 😀
Die Verlobungsinsel hat ihren Namen vermutlich aus der Zeit der Romantisierung, welcher im Zusammenhang mit dem Bau der Gaststätte Romkerhall entstanden sein könnte. Genaue Belege gibt es hingegen nicht. Ein romatisches Plätzchen mitten in der Oker bildet das kleine Eiland dennoch, und hier befindet sich auch eine Stempelstelle der Harzer Wandernadel. Von meinem Aquädukt ist indes noch nichts zu sehen.
Das Gebiet südlich der Verlobungsinsel ist ein Paradies für Kletterer und solche, die mit dem Sport gerade beginnen. Einer der in der Region bekanntesten Kletterfelsen ist die Marienwand unterhalb des Okerstaudamms, an dem die Wildwasserstrecke für Kanufahrer endet.
Der Aquädukt
Kurz hinter der Marienwand verzweigt sich die Oker dann: Einmal in ihren natürlichen Lauf entlang der Straße, und einmal in einen künstlich angelegten Kanal mit Stauwehren und allem möglichen wasserwirtschaftlichen Schnickschnack. Ob hier wohl der von mir erspähte Aquädukt beginnt? Nach wenigen Metern jedenfalls verschwindet der „Oker-Seitenkanal“ vorerst in einem Felsen, keine Möglichkeit also, ihn weiter zu verfolgen.
Der Wanderweg folgt von nun an der Straße auf der gegenüberliegenden Flußseite. Nach gut 500 Metern kann man die Oker erneut überqueren und gelangt zu einem kleinen Wasserkraftwerk unterhalb des Kletterfelsens Schlafender Löwe. Hier kommt der kleine Kanal nach getaner Arbeit zurück ans Tageslicht und trifft wieder auf die reguläre Oker. Gleichzeitig bietet sich dem Wasser auch erneut die Auswahl zwischen einem künstlichen Kanal auf der Westseite oder dem normalen Flußlauf entlang der Straße auf der Ostseite.
Die Adlerklippe
Der Wanderweg folgt dem Kanal. Nach etwa 200 Metern wird dieser mit Hilfe einer kleinen Brücke überquert. Ein Wegweiser kündigt die Adlerklippe an. Von der Felsformation der Adlerklippe, auf deren Gipfel ein (künstlicher) Adler thront, hat man einen tollen Blick auf das Okertal und auf den Aquädukt. Viel ist über den Oker-Aquädukt nicht in Erfahrung zu bringen. Die Holzkonstruktion verliert sich hinter der nächsten Felsnadel und verschwindet aus dem Sichtbereich. Vermutlich speist der Aquädukt ein weiteres Wasserkraftwerk Stromabwärts.
Von den Adlerklippen ist es nicht mehr weit bis zum Gasthof Waldhaus am Rande des Goslarer Ortsteils Oker. Den Linienbus zurück Richtung Romkerhalle und Altenau sehe ich gerade noch wegfahren. Mit etwas mehr Beeilung hätte ich die Wanderung in 1½ Stunden schaffen können, nun gönne ich mir einen kleinen Mittagssnack im holländischen Imbiss vor dem Gasthaus. Dieses hat heute nämlich geschlossen.
Von einem Bus im Zwei-Stunden-Takt am Sonntag können in Deutschland viele Menschen auf dem Lande nur träumen, ich nutze die Zeit leicht widerwillig für ein weiteres Kaltgetränk und verwerfe die Idee, mir noch die Okertalsperre anzuschauen. Um 14:45 kommt der nächste Bus, um kurz nach 15 Uhr soll er in Altenau sein. Ich hatte mir bereits eine interessante Route zur Erkundung des Oberharzer Wasserregals rausgesucht, allerdings werde ich jetzt den letzten Bus nach Clausthal gegen 18 Uhr eher nicht mehr erreichen und müsste dementspreched den gesamten Weg bis in die Bergstadt ebenfalls zu Fuß zurücklegen.
Der Bus kommt pünktlich, die Klimatisierung tut gut. Draußen sind es inzwischen 28°C, fast schon zu warm für eine ausgiebige Wanderung. Der Bus macht einen Schlenker über Schulenberg, von wo man einen tollen Blick über den Oker-Stausee hat. Deutlich zu erkennen ist der niedrige Wasserstand des Oker-Stausees, in Deutschland hat es dieses Jahr schon lange nicht mehr geregnet.
Die ehemalige Innerstetalbahn
An der Haltestelle Rothenberger Straße steige ich aus. Steil bergauf geht es erst einmal zur ehemaligen Bahnstrecke der Innerstetalbahn von Altenau nach Clausthal-Zellerfeld. Seit 1976 gibt es hier keinen Bahnverkehr mehr, die Trasse wurde in der Folgezeit zu einem Radweg ausgebaut. Tiefe Geländeeinschnitte und zahlreiche Brücken zeugen jedoch nach wie vor von der einstigen Nutzung.
Der Bahnradweg ist als Wanderweg eher weniger geeignet, wenn man nicht die gesamte Strecke bis nach Clausthal-Zellerfeld laufen möchte. Durch seine ursprüngliche Funktion als Bahnstecke und aufgrund der Topographie gibt es so gut wie keine Möglichkeit, die Trasse unterwegs zu verlassen. So laufe ich, immer mit Blick auf den GPS-Standort in der mobilen Karten-App, rund 500 Meter an meinem eigentlichen Ziel vorbei, bis ich auf halsbrecherische Weise eine Möglichkeit finde, mir von einer Brücke einen Weg hinunter zur Straße zu bahnen.
Ich wandere an der sehr wenig befahrenen Landstraße zurück zum Polstertal. In zwei Stunden fährt von hier der letzte Bus des Tages nach Clausthal-Zellerfeld, zum Polsterberger Hubhaus sind es auf einem ausgeschilderten Rundweg entlang des Dammgrabens gute drei Kilometer bergauf. Erinnert mich irgendwie an unsere Wanderung zur Elbquelle 2017.
Das Oberharzer Wasserregal
Entlang eines Forstweges gelange ich vorbei am Campingplatz Polstertal zum Polster(taler) Teich. Der Polster Teich staut den kleinen Bach „Schwarzes Wasser“ für die ehemaligen Pochwerke. Der Staudamm hat eine Länge von rund 140 Metern und wurde 1728 errichtet. Zwölf Jahre später wurde der Damm auf die heutige Höhe von 6,50 Metern erhöht. Die Ausführung war vermutlich fehlerhaft, sodass der Damm bereits 1742 brach und für eine großflächige Überschwemmung sorgte. Heute dient er in erster Linie der Naherholung als Fisch- und Badeteich.
Das Waldsterben
Inzwischen macht sich ein ökologisches Phänomen mehr und mehr bemerkbar: Das massive Waldsterben im Westharz. Durch den jahrhunderte langen Bergbau war Holz ein wichtiger Rohstoff im Harz. Um möglichst rasch neues Holz ernten zu können, wurden im Laufe der Jahrhunderte nicht heimische Monokulturen hauptsächlich aus Fichten angelegt. Diese Baumart wächst vergleichsweise schnell und schön geradlinig, sodass sich die Stämme der Fichten ideal für den Bau von Stollen und Gebäuden eignen. Durch die vergleichsweise trockenen Sommer in den letzten Jahren und den Befall durch den Borkenkäfer sind die Tage der Harzer Fichten größtenteils gezählt. Rund 80% des ehemaligen Baumbestandes im Westharz ist bereits verschwunden oder abgestorben.
Der apokalyptische Anblick von toten Bäumen und kahlen Flächen ist aus ökologischer Sicht jedoch weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick aussieht. An Stelle der Fichten-Monokultur wachsen nun heimische Laub- und Nadelwälder nach, die den klimatischen Bedingungen besser gewachsen und resistenter gegen Schädlinge sind. Da diese Baumarten jedoch langsamer wachsen, wird es noch zwei bis drei Jahrzehnte dauern, bis der Harz wieder mit dichtem Waldbestand punkten kann.
Der Dammgraben
In der prallen Sonne wandere ich weiter bergauf und erreiche den Dammgraben. Dieser künstlich angelegte Wasserlauf verbindet an dieser Stelle den Sperberhaier Damm mit dem Mönchsteich in Clausthal-Zellerfeld und war ursprünglich etwa neun Kilometer lang. Um 1821 wurde zur Abkürzung der Kalte Küche Wasserlauf angelegt, ein 410 Meter langer, unterirdischer Kanal. Somit konnten rund 1,9 Kilometer oberirdischer Graben um den Rothenberg aufgegeben werden.
Der Vorteil war, dass der Unterhalt offener Kanalbauwerke sehr kostenintensiv war und gerade im Winter das Wasser unter Tage nicht einfriert, sondern sich sogar noch erwärmt. Ein weiterer Nebeneffekt war das etwas größere Gefälle im Kalte Küche Wasserlauf, wodurch die Fließgeschwindigkeit des Wassers leicht zunahm und dessen hydraulische Effektivität erhöhte.
Das gesamte System des Dammgrabens mit all seinen Zuflüssen und Nebenarmen ist ein herausragendes Beispiel der Oberharzer Wasserwirtschaft. Mit einer Gesamtlänge von 19 Kilometern bildet er das Kernstück des Oberharzer Wasserregals.
Unterirdische Wasserläufe im Oberharzer Wasserregal
Folgt man vom Kalte Küche Wasserlauf aus dem Dammgraben in Fließrichtung, trifft man nach rund 300 Metern auf den Rothenberger Wasserlauf. Dieser 770 Meter lange Wasserüberleitungsstollen aus dem Jahre 1868 unterquert den Rothenberg und machte den nur 45 Jahre früher errichteten Kalte Küche Wasserlauf bereits wieder überflüssig. Mit der Eröffnung des Rothenberger Wasserlaufes wurden 2.700 Meter des ursprünglichen Dammgrabens um den Rothenberg ausser Betrieb genommen, wodurch sich der Wartungsaufwand und die Gefahr des Einfrierens des Dammgrabenwassers im Winter erneut erheblich reduzieren liessen.
An der Mündung des Rothenberger Wasserlaufes stand bis 1980 das Rothenberger Hubwerk, welches – bereits mit elektrischer Energie betrieben – einen Teil des Wassers in den 18 Meter höher gelegenen Schwarzenberger Wasserlauf pumpte. Von dort gelangte das Wasser in die Pfauenteiche am Rande von Clausthal-Zellerfeld, deren Wasser im Kaiser-Wilhelm-Schacht zum Antrieb eines Kraftwerkes genutzt wurde. Lehrreiche Informationstafeln geben wie hier an vielen Stellen des Oberharzer Wasserregals aufschlussreiches Wissen über Sinn und Zweck der Kunstbauten des UNESCO Weltkulturerbes.
Entlang des Dammgrabens verläuft ein Wanderweg mit herrlichem Weitblick bis zum Brocken, dem mit 1.142 Metern höchsten Berg Norddeutschlands. Kaum vorstellbar, dass hier bis vor zehn Jahren noch ein dichter Nadelwald den freien Blick auf Berg und Tal verwehrte. An kaum einer anderen Stelle des Harzes sind die Auswirkungen des oben beschriebenen Waldsterbens so erlebbar wie hier. Gleichzeitig ist hier am Rande des Dammgrabens auch schon sehr schön zu erkennen, wie sich neues Grün in Form von Laubbäumen seinen zukünftigen Platz sichert.
Das Polsterberger Hubhaus
Nach weiteren 700 Metern erreiche ich das Polsterberger Hubhaus, ein ehemaliges Pumpenhaus oberhalb des Dammgrabens. Das Polsterberger Hubhaus wurde im 18. Jahrhundert errichtet, um das Wasser aus dem Dammgraben in höher gelegene Wasserläufe zu pumpen und damit die ergiebigsten Bergwerke im Oberharz, die Grube Caroline und die Grube Dorothea, mit Wasserkraft zu versorgen. Heute befindet sich im Polsterberger Hubhaus ein bekanntes Ausflugslokal mit herrlichen selbstgebackenen Kuchen. Ich stärke mich bei einem frischen, noch warmen Apfel-Streusel-Kuchen und einer leckeren Limo.
Inzwischen ist es Viertel nach fünf, ich bin frisch gestärkt und das Wetter noch immer warm und sonnig. Ich entscheide mich dafür, die Gegend noch weiter zu erkunden und dafür den langen Fußmarsch bis nach Clausthal-Zellerfeld auf mich zu nehmen. Am höher gelegenen, kaum noch erkennbaren Schwarzenberger Wasserlauf wandere ich zurück am ehemaligen Rothenberger Hubhaus vorbei, von welchem bis auf eine Bodenplatte und ein Rohr des ehemaligen Pumpwerkes nicht mehr viel zu erkennen ist. Weiter führt mich meine Erkundung des Oberharzer Wasserregal auf die Südseite der Bundesstraße 242.
Der Hutthaler Wasserlauf
Ich möchte entlang des Hutthaler Grabens zur Hutthaler Widerwaage, was sich mangels brauchbarer Ausschilderung als gar nicht so einfach erweist. Zum Glück treffe ich eine Wanderin mit Skistöcken mitten im Hochsommer. Ja, dafür, dass sich die Gegend hier rühmt, ein UNESCO Weltkulturerbe zu sein, lässt die Ausschilderung sehr zu wünschen übrig, meint die Dame, kann mir aber glücklicher Weise den richtigen Weg weisen. Google Maps erweist sich in der Gegend hier als wenig hilfreich, da es viele der offiziellen Wanderwege nicht zu kennen scheint. Als Alternative kann ich daher die kostenlose tschechische App Mapy.cz wärmstens empfehlen. Hier sind nicht nur wirklich sämtliche kleinste (Wander)wege enthalten, es sind auch Bänke, Wegweiser und Hinweistafeln enthalten, die sich super als Wegmarke benutzen lassen.
An einer Gabelung zweier kleiner Kanäle beginnt der Hutthaler Graben, der sich aus dem Schwarzenberger Graben und dem inzwischen verschütteten Schwarzenberger Wasserlauf bildet. Kurz nach Zusammenfließen dieser beiden Wasserläufe überquert der Hutthaler Graben den Unteren Hutthaler Teichdamm, einen künstlichen, im 18. Jahrhundert errichteten Aquädukt bzw. wasserführenden Damm.
Die Hutthaler Widerwaage
Der rund 1.200 Meter lange Hutthaler Graben besitzt als einziger Wassergraben im Oberharz kein Gefälle. Dies liegt daran, dass er von seiner Funktion her als Bestandteil des Wassersystems der Hutthaler Widerwaage das Wasser je nach Bedarf in beide Richtungen befördern sollte. Somit konnte über den Hutthaler Wasserlauf, welcher den Hutthaler Graben mit dem Hirschler Teich verbindet, der Pegel des Hirschler Teiches unabhängig von den meteorologischen Gegebenheiten das gesamte Jahr über konstant gehalten werden. Bei wenigen Niederschlägen wurde Wasser aus höher gelegenen Gebieten über das Grabensystem der Hutthaler Widerwaage in den Hirschler Teich geleitet. Bei Anstieg des Wasserstandes im Hirschler Teich durch ergiebige Niederschläge konnte das Wasser durch den Hutthaler Wasserlauf zurückfließen und über ein ausgeklügeltes System an Wehren und Kanälen über das Einzugsgebiet der Söse abgeleitet werden. Dies beugte vor allen Dingen Hochwassern und Überschwemmungen im Gebiet um Clausthal-Zellerfeld vor.
Ganz in der Nähe der Hutthaler Widerwaage entspringt einer der wichtigsten Flüsse im Westharz, die Innerste. Bereits nach wenigen Metern wird sie zum ersten Mal zu einem kleinen Teich, dem Entensumpf, angestaut. Dieser wurde Anfang des 17. Jahrhunderts zu bergbautechnischen Zwecken angelegt, schon bald aber als Trinkwasserreservoir für die nahe Bergbaustadt Clausthal-Zellerfeld zweckentfremdet. Für die Innerste ist dies die erste von insgesamt sieben Staustufen.
Die Pfauenteichkaskade
Ganz in der Nähe befindet sich der Parkplatz am Entenpfuhl. Dieser eignet sich hervorragend als Ausgangspunkt für ausgiebige Wanderungen durch das Oberharzer Wasserregal. Das Didimobil hingegen steht heute umweltschonend auf dem Campingplatz, und ich muss zusehen, wie ich dort jetzt wieder hinkomme. Ich entdecke eine Bushaltestelle und freue mich, wozu habe ich schließlich ein republikweit gültiges Monatsticket in der Tasche? Die Freude über das 9-Euro-Ticket weicht hier oben auf 650 Metern über dem Meer an einem Sonntagabend kurz nach 18 Uhr schnell einer ernüchternden Realität: Der einzige Bus fährt hier an Wochentagen um 7:11 – und auch das nicht in den Ferien. So bleibt mir nichts anderes übrig, als den Rest bis Clausthal-Zellerfeld auch noch zu Fuß zurückzulegen.
Das Werk Tanne
Anstatt der Straße zu folgen mache ich noch einen Abstecher zum Hirschler Teich und den Pfauenteichen, welche für den ertragreichen Silberbergbau in Clausthal-Zellerfeld vor allen Dingen im 18. Jahrhundert eine zentrale Rolle spielten. Hier stehen auch die Ruinen des unrühmlichen Werk Tanne, einer Sprengstofffabrik, die von den Nationalsozialisten in den 1930er Jahren hier errichtet wurde. Weit über tausend Zwangsarbeiter mussten hier unter hohen gesundheitlichen Belastungen und Gefährdungen Bomben, Minen und Granaten mit dem hochexplosiven und hochgiftigen TNT befüllen. Weit über 100 Zwangsarbeiter ließen hier ihr Leben.
Entlang der drei Pfauenteiche (oberer, mittlerer und unterer Pfauenteich) schlendere ich nach Clausthal-Zellerfeld. An der Marktkirche finde ich ein geöffnetes Restaurant und gönne mir ein leckeres Abendessen und ein kühles Blondes. 15 Kilometer waren es von Altenau hierher, quer durch das UNESCO Weltkulturerbe Oberharzer Wasserregal. Hinzu kommen die fünf Kilometer durch das Tal der Oker heute Vormittag. So schön und vor allen Dingen interessant die heutige Wanderung auch war, umso mehr freue ich mich morgen auf das Didimobil in der Hoffnung, auf dem Rest meines Roadtrips durch die Mitte Deutschlands wieder weniger laufen zu müssen. Schließlich gilt es nach wie vor den Titel des Unsportlichsten Norddeutschen zu verteidigen. 😉
Ach je der Harz, da kommen Kindheitserinnerungen hoch;)