Wer aus Gründen einer Pandemie oder mangels Zeit keine Weltreise unternehmen kann, braucht auf ein wenig internationales Flair nicht verzichten. 60 Kilometer östlich von Hannover und 150 Kilometer südlich von Hamburg befindet sich das Internationale Mühlenmuseum Gifhorn. Mit viel Liebe und Hingabe hat der Besitzer seit 1980 auf 16 Hektar Land rund 15 hauptsächlich europäische Wind- und Wassermühlen errichten lassen. Hierbei handelt es sich teilweise um über 300 Jahre alte originale Mühlen als auch um einzelne originalgetreue Nachbauten.
Mediterranes Flair im Mühlenmuseum Gifhorn
Auf zwei kleinen Inseln in der angestauten Ise gleich rechts vom Eingang finden sich vier Windmühlen aus dem Mittelmeerraum. Sie sind allesamt Repliken originaler Vorbilder und gehören zu der für den Mittelmeerraum typischen Gattung der Turmmühlen.
Griechenland
Gleich nach dem Passieren des Eingangs kommt direkt Urlaubsflair auf. Typisch mediterrane Pflanzen und Gestaltungselemente versetzen den Besucher auf die griechische Insel Mykonos. Die markante weiße Turmmühle Irini bildet zusammen mit einem strahlend weißen Wirtschaftsgebäude eines der markantesten Ensembles des Mühlenmuseums Gifhorn – und zählt zu Didis Lieblingsmühlen.
Portugal
Gleich neben der griechischen Windmühle befindet sich der Nachbau einer weiteren für den Mittelmeerraum typischen Windmühle. Das Original steht im portugiesischen Torres Vedras, der hier gezeigte Mühlentyp mit seinen dreieckigen Segeln ist jedoch typisch für Portugal und den gesamten Mittelmeerraum rund um die Algarve.
Spanien (Mallorca)
Von Portugal nach Spanien ist es nur ein Katzensprung. Die weithin sichtbare gelbe Getreidemühle Moli de Tramuntana ist eine Nachbildung einer typischen mallorquinischen Windmühle. Auch heute noch finden sich abseits der Massentourismuspfade auf der Deutschen liebsten Insel Mallorca zahllose Windmühlen, jedoch keine in so schönem Sonnengelb wie hier im Mühlenmuseum Gifhorn.
Frankreich
Das Ende der mediterranen Windmühlen markiert die Turmmühle Alphonse Daudet wenige Meter neben der spanischen Moli de Tramuntana. Das Vorbild für diesen Nachbau steht in Fontvielle in der Provence in Frankreich und datiert auf das Jahr 1813 zurück. Diese Mühle ist eine typische Vertreterin französischer Windmühlen, ihre Bauform lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen.
Lustige Holzschnitzereien im Mühlenmuseum Gifhorn
Ein typisches Gestaltungselement im Mühlenmuseum Gifhorn sind kreative Holzschnitzereien, insbesondere von Grimassen schneidenden Köpfen. Diese finden sich nicht nur an Brückengeländern, Wegweisern und Hinweistafeln, sondern stehen auch ab und an einfach so in der Gegend herum.
Auch an einer koreanischen Wassermühle finden sich besagte Schnitzereien. Hier ist es ein Gesicht, aus dessen Mund das Wasser sprudelt, welches das Mühlrad antreibt:
In einem etwas abseits gelegenen Teil des Geländes hinter der russischen Holzkirche befindet sich eine sehenswerte Zugbrücke. Diese ist mit massiven holzgeschnitzten „Wächtern“ und einigen Tieren wie Eule, Katze oder Hahn, reich verziert. Da man über diese Brücke das Museumsgelände verlassen würde, befindet sie sich die meiste Zeit des Jahres in hochgezogener Stellung.
Mitteleuropäische Mühlen im Mühlenmuseum Gifhorn
Über eine ebenfalls reich mit Schnitzereien versehene Holzbrücke gelangt man vom mediterranen Teil des Mühlenmuseums Gifhorn in heimischere Gefilde.
Deutschland
Direkt am Eingang des Mühlenmuseums Gifhorn befindet sich die Holländermühle Immanuel, welche 1848 in Westdorf im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein errichtet wurde. Die auf einem kleinen Hügel stehende Windmühle kam 1979 als eines der ersten Exponate nach Gifhorn und wird auch als Bergholländer oder Kellerholländer bezeichnet, da der kleine Hügel Fuhrwerken als direkte Zufahrt unter die Mühle dient und somit die Verladung des gemahlenen Getreides revolutionär vereinfachte.
Die größte Windmühle auf dem Museumsgelände ist die deutsche Galerie-Holländer-Mühle Sanssouci. Der rund 25 Meter hohe Nachbau der historischen Mühle Sanssouci ist ein Abbild der Ende des 18. Jahrhunderts neben dem Potsdamer Schloss errichteten und in den 1990er Jahren wiederaufgebauten Windmühle in der brandenburgischen Hauptstadt. Hier in Gifhorn beheimatet die Galerie-Holländer-Mühle Sanssouci eine sehenswerte Ausstellung über die Entstehung des Mühlenmuseums Gifhorn. Von der Galerie hat man an schönen Sommertagen einen tollen Blick über das Museumsgelände und den angrenzenden Glockenpalast.
Ebenfalls aus Deutschland, genauer aus dem kleinen Ort Osloß unweit von Gifhorn, stammt die Bockwindmühle Viktoria. Die 1816 erbaute Windmühle steht seit 1980 im Mühlenmuseum Gifhorn und gehört somit zu den ältesten ausgestellten Exponaten. Als Besonderheit lässt sich eine Bockwindmühle komplett in Windrichtung drehen, wodurch sie nach preußischem Recht nicht als Bauwerk, sondern als Arbeitsmaschine eingestuft wurde.
Ungarn
Eine eher seltene Bauform stellt die ungarische Schiffsmühle Julischka dar, welche in der das Museum umgebenden, angestauten Ise vor Anker liegt. Das Mühlrad befindet sich hier zwischen zwei Booten. Somit konnte der Kapitän, der gleichzeitig der Müller war, die Mühle in die jeweils beste Strömung steuern und somit den Mahlvorgang aktiv beeinflussen.
Österreich
Aus Österreich stammt die 300 Jahre alte Tiroler Wassermühle, welche ursprünglich bei Lienz in Tirol beheimatet war. Auch sie gehört zu den ersten Exponaten des Gifhorner Mühlenmuseums, ihre zwei Wasserräder werden über eine hölzerne Wasserleitung von einem Teich etwas oberhalb der Mühle angetrieben.
Serbien
Die neueste Mühle im Gifhorner Mühlenmuseum ist die 100 Jahre alte serbische Wassermühle Mudra Milica, welche im Mai 2015 hier aufgestellt wurde. Diese Mühlen sind durch ihre Löffelräder ideal für Gewässer mit wenig Wasser, jedoch starkem Gefälle nutzbar. Die Wassermühlen von Jajce und die Mühle in Nderlysa in Albanien beruhen auf dem selben Prinzip.
Der Dorfplatz im Mühlenmuseum Gifhorn
Zentraler Platz des Freilichtmuseums ist der Dorfplatz mit Picknick- und Sitzgelegenheiten sowie einem Spielplatz für die Kinder. Ähnlich einem Rundlingsdorf angeleget säumen den Dorfplatz das Backhaus, das Brothaus, das Trachtenhaus sowie eine Ross- bzw. Pferdemühle in einheitlichem Fachwerkstil. Im Trachtenhaus befindet sich ein kleiner Restaurationsbetrieb; hier gibt es Kleinigkeiten zu essen sowie Kaffee und Kuchen. Im Brothaus wird in den Sommermonaten frisches Brot nach alter Backtradition gebacken und den Besuchern verkauft.
Russisch-Orthodoxe Holzkirche
Eine Besonderheit im Mühlenmuseum Gifhorn stellt die russisch-orthodoxe Holzkirche am Ende des Freigeländes dar. Im Stil einer Stabkirche ist das 27 Meter hohe Gebäude mit seinen acht markanten, vergoldeten Kuppeln ein absoluter Hingucker und wird von der russisch-orthodoxen Gemeinde gelegentlich für Gottesdienste genutzt. Die Kirche ist gegen eine zusätzliche Gebühr von innen zu besichtigen, alternativ führt ein kleiner Wanderweg einmal um das 1965 geweihte Kirchengebäude herum.
Der Glockenpalast
Direkt neben dem Museumsgelände befindet sich mit dem Glockenpalast ein ebenso interessantes wie ungewöhnliches Gebäude. Im altrussischen Baustil errichtet beherbergt der Glockenpalast das Kulturinstitut Die Brücke, in dem ursprünglich russische Kunsthandwerker ausgebildet werden sollten. Nach finanziellen Schwierigkeiten und jahrelangen Bauverzögerungen fungiert das Gebäude derzeit als Europäisches Kunsthandwerkerinstitut und kann gegen eine Gebühr besichtigt werden.
Derzeit (2020) steht der Glockenpalast vor einer ungewissen Zukunft. Für 4,8 Millionen Euro wird seit Herbst 2019 nach einem neuen Eigentümer gesucht. Sollte sich niemand finden, ist auch ein Abbruch des markanten Gebäudes nicht ausgeschlossen.
UPDATE 2022
Die Stadt Gifhorn hat inzwischen das Mühlenmuseum sowie den Glockenpalast käuflich erworben. Somit ist die Zukunft beider Einrichtungen vorerst gerettet.
Seit 2007 befindet sich vor dem Gebäude die Freiheitsglocke, die an den Mauerfall 1989 erinnern soll. Auch sie befindet sich auf dem gebührenpflichtigen Gelände des Glockenpalastes.
Wissenswertes
Die Kreisstadt Gifhorn liegt verkehrsgünstig an der Kreuzung der Bundesstraßen 4 (Hamburg – Uelzen – Gifhorn – Braunschweig) und 188 (Hannover – Gifhorn – Wolfsburg – Stendal). Das Mühlenmuseum Gifhorn befindet sich an der B188 am Ortsausgang Richtung Wolfsburg. Per ÖPNV ist das Mühlenmuseum über den Bahnhof Gifhorn (Bahnstrecke Uelzen – Gifhorn – Braunschweig) an das Bahnnetz angeschlossen und es verkehrt ein Stadtbus vom Bahnhof zum Museum.
Kostenlose Parkplätze sind zahlreich vor Ort vorhanden.
Das Museum hat täglich ausser montags geöffnet. Aktuelle Öffnungszeiten und Eintrittspreise sind auf der Internet-Präsenz des Museums unter http://www.muehlenmuseum.de/oeffnung.html einsehbar.