Das Wendland: Heideblüte und Rundlingsdörfer

Gute eineinhalb Autostunden südöstlich von Hamburg liegt eine fast vergessene Ecke Norddeutschlands. Zwischen Lüneburger Heide und dem Urstromtal der Elbe liegt das Wendland, welches wesentlich mehr zu bieten hat als ein lange umkämpftes Atommüll-Zwischenlager: Die Heideblüte in der Nemitzer Heide zum Beispiel, oder die vielen gut erhaltenen Rundlingsdörfer. Wer der Großstadthektik der Metropole Hamburgs entfliehen möchte, ist hier genau richtig. Sei es für einen Tagesausflug oder für ein verlängertes Wochenende, im Wendland kann man die Seele baumeln lassen.

Woodhenge im Wendland

Woodhenge im Wendland

Die Nemitzer Heide

Fast jeder in Deutschland kennt das Naturschutzgebiet Lüneburger Heide. Jedes Jahr zur Heideblüte zwischen August und September werden Heerscharen von Touristen per Reisebus hierher gekarrt und bevölkern abertausende Rentnerhorden in Übergangsjacken die Kulturlanschaft auf der Suche nach Ruhe, Erholung und Kaffee & Kuchen. Die Wenigsten wissen jedoch, dass sich am östlichsten Rand der Lüneburger Heide im Wendland bei Trebel mit der Nemitzer Heide ein nicht minder schöner Ausläufer befindet. Nach einem Großbrand im August 1975 wurde der hier befindliche Kiefernwald nicht wieder aufgeforstet, wodurch die Nemitzer Heide entstand.

Nemitzer Heide, Wendland

Nemitzer Heide, Wendland

Die Nemitzer Heide wird heute von einer rund 350 Tiere großen Heidschnuckenherde bewirtschaftet, deren Stallungen sich am Südrand der Nemitzer Heide befinden. Der Verbiss der Schafe verhindert, dass Bäume auf den Heideflächen austreiben und verjüngt die Heidepflanzen. Mit etwas Glück kann man die Heidschnucken auf einem Spaziergang entlang ausgeschilderter Rundwanderwege treffen.

Schafstall in der Nemitzer Heide im Wendland

Schafstall und Wegweiser, Nemitzer Heide

Heideblüte im Wendland

Auch für die Heideblüte in der Nemitzer Heide gilt die Faustregel vom 8.8. bis zum 9.9. eines jeden Jahres. In dieser Zeit leuchten die Triebe der Zwergstrauchheide in herrlichstem Lila. Die rund 550 Hektar große Fläche der Nemiter Heide lädt aber auch ausserhalb der Heideblüte zu ausgiebigen Wanderungen und Spaziergängen ein. Drei unterschiedlich lange Wanderwege zwischen 45 Minuten und zwei Stunden Länge sind in der Nemitzer Heide ausgeschildert. Startpunkt ist jeweils der Besucherparkplatz am Informationszentrum „Heidehaus“ auf halbem Weg zwischen den Ortschaften Trebel und Nemitz. Hier gibt es neben einem kleinen Café ebenfalls einen kleinen Wohnmobilstellplatz.

Heideblüte in der Nemitzer Heide

Heideblüte in der Nemitzer Heide

Blick von der Düne auf die Nemitzer Heide

Blick von der Düne auf die Nemitzer Heide

Unterwegs sollte man auf jeden Fall einen Abstecher zu der kleinen Sanddüne zwischen Schafstall und Schutzhütte machen. Von der 38 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Anhöhe hat man insbesondere zur Zeit der Heideblüte einen tollen Rundumblick auf das lilafarbene Heidemeer.

Beliebt ist in der Nemitzer Heide auch das Reiten zu Pferd, eigens angelegte Hindernisparcoure bieten hier für Tier und Reiter eine willkommene Abwechslung.

Zu Pferd durch die Nemitzer Heide im Wendland

Zu Pferd durch die Nemitzer Heide

Für alle diejenigen, die nicht so gut zu Fuß sind oder Lust auf ein paar Anekdoten die Nemitzer Heide und das Wendland betreffend haben, gibt es alternativ die Möglichkeit, die Nemitzer Heide bei einer Kutschfahrt zu erkunden. Für 10,-€ geht es mehrmals täglich auf eine 1,5-stündige Tour bis in den hintersten Winkel der Nemitzer Heide. Die Touren starten im Regelfall am Parkplatz des Heidehauses zwischen Trebel und Nemitz.

Per Kutsche die Nemitzer Heide erkunden

Per Kutsche die Nemitzer Heide erkunden

Rundlingsdörfer

Eine Besonderheit in der Siedlungsstruktur im Wendland sind die sogenannten Rundlingsdörfer oder einfach nur Rundlinge. Hierbei handelt es sich um eine Siedlungsform, bei der sich mehrere Gehöfte keilförmig um einen mehr oder weniger runden Dorfplatz gruppieren. Die in Deutschland hauptsächlich auf einer Achse zwischen Ostsee und Erzgebirge vorkommenden Rundlingsdörfer verfügten ursprünglich nur über eine einzige Zuwegung.

Rundlingsdorf Jabel bei Lüchow

Rundlingsdorf Jabel (Lüchow)

Das Wendland ist heute das Gebiet mit der höchsten Dichte an Rundlingsdörfern in Deutschland. Vielerorts sind die alten niederdeutschen Hallenhäuser hier noch erhalten und größtenteils von ihren (neuen) Besitzern liebevoll restauriert worden.

Liebevoll restaurierte Häuser im Wendland in Satemin

Liebevoll restaurierte Hallenhäuser in Satemin im Wendland

Man unterscheidet hier zwischen Zwei-, Drei- und Vierständerhaus. Die Zahl beschreibt die Anzahl an den längs aufgeständerten Holzpfosten, auf denen die Deckenbalken der Häuser ruhen. Zu erkennen sind die unterschiedlichen Haustypen an der Größe der Dachgiebel (Zweiständerhaus und Vierständerhaus) beziehungsweise an der asymetrischen Dachform beim Dreiständerhaus.

Zwei-, Vier- und Dreiständerhaus in Breese im Bruche

Zwei-, Vier- und Dreiständerhaus (von links) in Breese im Bruche

Insgesamt rund 100 Rundlinge sind heute im Wendland noch erhalten und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit insbesondere bei Städtern, die sich nach einem Zweitwohnsitz im Grünen sehnen. Sehr schön erhaltene Rundlinge findet man unter anderem in Jabel, Schreyahn oder Satemin.

Rundlingsdorf Schreyahn im Wendland

Rundlingsdorf Schreyahn im Wendland

Dorfplatz von Schreyahn mit Didimobil

Dorfplatz von Schreyahn mit Didimobil

Satemin & Breese im Bruche

Satemin dürfte einer der weitläufigsten Rundlinge im Wendland sein. Hier liegt die Besonderheit darin, dass Satemin aus einem rundlichen Dorfplatz besteht, dessen eines Ende eine Durchgangsstraße im spitzen Winkel tangiert, entlang welcher sich das Dorf mit der Eigenart der Rundlinge (Giebelseiten zur Straße hin) und einer großen Grünfläche mit großen, schattenspendenden Bäumen weiter erstreckt.

Satemin

Satemin

In Satemin lohnt es sich, eine kleine Pause einzulegen. Im kinderfreundlichen Markthof Satemin kann man sich wunderbar bei einer Tasse Kaffee und leckeren, selbtsgebackenen Kuchen stärken oder einen der hausgemachten Flammkuchen probieren und auf der weitläufigen Grünfläche einfach mal die Seele baumeln lassen.

Satemin, im Hintergrund der Markthof

Satemin, im Hintergrund der Markthof

Ebenfalls sehr sehenswert ist das Rundlingsdorf Breese im Bruche. Zwar liegt dies an einer Durchfahrtsstraße mit sehr wenig Verkehr (wie eigentlich überall im Wendland abseits der Hauptstraßen), allerdings findet man dort neben Hallenhäusern aus dem beginnenden 18. Jahrhundert auch eine sehenswerte Gutskapelle aus dem 16. Jahrhundert.

Breese im Bruche

Breese im Bruche

Gutskapelle, Breese im Bruche

Gutskapelle, Breese im Bruche

Sehenswerte Städte im Wendland

Das Wendland besteht natürlich nicht nur aus Landschaft und kleinen Dörfern. Die beiden Kleinstädte Lüchow (ca. 9.500 Einwohner) und Dannenberg (ca. 8.100 Einwohner) beispielsweise sind namensgebend für den Landkreis Lüchow-Dannenberg, welcher in etwa deckungsgleich mit dem Gebiet des Wendlandes ist.

Bleckede, ehemaliges Gasthaus "Zum Löwen"

Bleckede, ehemaliges Gasthaus „Zum Löwen“

Kreisstadt Lüchow

Die Kreisstadt Lüchow mit knapp 9.500 Einwohnern ist die größte Stadt im Wendland. Bis 1811, als ein verheerender Großbrand weite Teile der Stadt vernichtete, befand sich in Lüchow das gleichnamige Schloss Lüchow, von dem heute lediglich der Amtsturm als ehemaliger Wachturm erhalten ist. Er beherbergt heute das Amtsturm-Museum, welches bereits 1930 eröffnet wurde und somit das älteste Museum des Landkreises darstellt.

Amtsturm Lüchow als letzter Rest von Schloss und Burg

Amtsturm Lüchow als letzter Rest von Schloss und Burg

Heute besticht Lüchow durch eine vorbildlich restaurierte Altstadt mit vielen Fachwerkbauten aus der Zeit des Wiederaufbaus nach 1811. Besonders hervorzuheben ist der Marktplatz mit dem Rathaus und dem Ratskeller. Interessanter Weise ist das Rathaus das Kleinere der beiden Gebäude, die Wirtsstube war damals offenbar wichtiger als die Politik. 😉

Ratskeller und Rathaus Lüchow

Marktplatz Lüchow mit Ratskeller (rechts) und Rathaus (links)

"Die Leinenweberinnen", Marktplatz Lüchow (Wendland)

„Die Leinenweberinnen“, Marktplatz Lüchow (Wendland)

Auch kulturell wartet Lüchow mit einer kleinen Überraschung auf. Seit 2011 befindet sich unweit des Marktplatzes in der Dr.-Lindemann-Straße das Stones Fan Museum. Neben allerhand Memorabilia rund um die Kult-Band „The Rolling Stones“ beherbergt das Stones Fan Museum auch einen kleinen Irish Pub und eine Bühne, auf der regelmäßig Live-Auftritte von überregional bekannten Rolling Stones Coverbands, aber auch anderen örtlichen Künstlern stattfinden.

Der Glockenturm war vermutlich ein ehemaliger Torturm der Stadtmauer Lüchow

Der Glockenturm war vermutlich ein ehemaliger Torturm der Stadtmauer Lüchow

Dannenberg, das Tor zum Wendland

Die Kleinstadt Dannenberg mit seinen gut 8.000 Einwohnern liegt am Rande des UNESCO-Biosphärenreservats Niedersächsische Elbtalaue und erfüllt eine über den eigentlichen Zweck hinausgehende zentralörtliche Aufgabe, die teilweise weit über die Landkreisgrenze hinaus bis ins mecklenburgische Dömitz auf der gegenüberliegenden Elbseite reicht.

Marschtorstraße, Dannenberg

Marschtorstraße, Dannenberg

Zentraler Platz in Dannenberg, welches sich hauptsächlich entlang einer einzigen Hauptstraße, dem Straßenzug Marschtorstraße/Lange Straße, erstreckt, ist der zentral gelegene Marktplatz. Um diesen herum gruppieren sich das historische Rathaus, das Marionettentheater, der Waldemarturm sowie einige historische Häuser aus dem 17. Jahrhundert.

Marionettentheater Dannenberg, im Hintergrund der Waldemarturm

Marionettentheater Dannenberg, im Hintergrund der Waldemarturm

Das Marionettentheater Dannenberg befindet sich seit 1991 im ehemaligen Feuerwehrhaus und lockt mit seinem wechselnden Repertoire rund 50.000 Zuschauer jährlich aus dem norddeutschen Raum nach Dannenberg. Der hinter dem Marionettentheater thronende Waldemarturm aus dem 12. Jahrhundert ist ein Überrest einer ehemaligen Burganlage und späteren Schlosses und beherbergt seit 1955 das Heimatmuseum Dannenberg. Hier finden des öfteren wechselnde Ausstellungen statt, zum Beispiel über die Hochwasser der Elbe in den letzten Jahrzehnten.

Marktplatz Dannenberg

Marktplatz Dannenberg, die Fassade des ehemaligen Hotel Ratskeller wurde in den Neubau integriert

Das Rathaus stammt ursprünglich aus dem Jahre 1780 und wurde von 1999 bis 2000 wieder aufgebaut. Heute befinden sich die örtliche Touristen-Information sowie eine naturkundliche Ausstellung im Rathaus, auf dessen Fassade der Spruch „Wi Börgers hebbn de Last dorvon un mütt dat all betahlen“ zu finden ist.

Rathaus Dannenberg, im Hintergrund der Waldemarturm

Rathaus Dannenberg, im Hintergrund der Waldemarturm

Häuserensemble aus dem frühen 17. Jahrhundert am Marktplatz Dannenberg

Häuserensemble aus dem frühen 17. Jahrhundert am Marktplatz Dannenberg

Hitzacker (Elbe)

Direkt an der Elbe gelegen wartet die 5.000-Einwohner-Stadt Hitzacker mit einer schnuckeligen Altstadt mitten auf einer kleinen Insel in der Jeetze-Mündung in die Elbe auf. Das älteste noch erhaltene Haus, das Alte Zollhaus aus dem Jahre 1589, beherbergt heute ein Museum.

Herzlich Willkommen in Hitzacker (Elbe)

Herzlich Willkommen in Hitzacker (Elbe)

Gebäude-Ensemble in der Hauptstraße, Hitzacker

Gebäude-Ensemble in der Hauptstraße, Hitzacker

Entlang zweier kopfsteingepflasterter Gassen gelangt man über die Altstadtinsel zur Elbe, die von hier noch rund 100 Kilometer bis in die schönste Stadt der Welt 😉 benötigt. Gesäumt werden die Straßen auf dem Weg dorthin von Backstein-Fachwerkhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Blick auf den Schiffermast am Elbufer, Hitzacker

Blick auf den Schiffermast am Elbufer, Hitzacker

In den letzten Jahren ist Hitzacker häufiger von Elbehochwassern betroffen gewesen. In den Jahren 2002 und 2006 wurde Hitzackers Altstadt komplett von den Fluten überschwemmt, seitdem wurden mehrere Millionen Euro für den Hochwasserschutz und neue Ufermauern ausgegeben.

Hinterhofidylle in Hitzacker (Elbe)

Hinterhofidylle in Hitzacker (Elbe)

Seit die berühmten Weinreben am Hamburger Stintfang 2019 umfangreichen Bauarbeiten weichen musste, befindet sich in Hitzacker der wohl nördlichste Weinberg Deutschlands. Von der 53 Meter hohen Erhebung hat man einen wunderbaren Blick über die Altstadt von Hitzacker und die Elbe.

Blick vom Weinberg auf Hitzacker

Blick vom Weinberg auf Hitzacker

Gorleben und die Atommüllfrage

Die meisten Menschen bringen das Wendland jedoch nach wie vor mit den Protesten gegen ein geplantes Atommüll-Endlager in Gorleben in Verbindung. Ein ehemaliger Salzstock unter der Gemeinde Gorleben im äußersten Nordosten des Wendlandes wurde 1977 als Endlager für den bundesdeutschen Atommüll erkoren, was zu massiven Protesten innerhalb der örtlichen Bevölkerung führte.

Wendland: Ein gelbes X als Zeichen des Protestes gegen das Atomlager Gorleben

Ein gelbes X als Zeichen des Protestes gegen das Atomlager Gorleben

Seit Mitte der 1980er Jahre dient das Atommüll-Lager Gorleben als Zwischenlager auch für europäischen Atommüll. Die Anlieferungen und Transporte des radioaktiven Abfalls in Castorbehältern per Bahn quer durch Europa sorgen immer wieder für erhebliche Proteste. 1996 entstand aus den Protesten gegen die Castor-Transporte der Zusammenschluss zum Aktionsbündnis „X-tausendmal quer. Seitdem zieren zahllose gelbe Kreuze in Form des Buchstabens X als stiller Protest das Wendland.

Ausstellung zur "Republik Freies Wendland" an der Zufahrt zum Salzstock

Ausstellung zur „Republik Freies Wendland“ an der Zufahrt zum Salzstock

Am 28. September 2020 wurde der Standort Gorleben als atomare Endlagerstätte im Rahmen einer bundesweiten, ergebnisoffenen Neubewertung als ungeeignet eingestuft. Obwohl viele staatlich unabhängige Wissenschaftler von Anbeginn den Gorlebener Salzstock für ungeeignet hielten, dauerte es ganze 43 Jahre, bis ein offizielles Regierungsgutachten zu dem gleichen Schluss kam.

Vor der Hauptzufahrt des Salzstocks Gorleben befindet sich heute eine kleine Ausstellung in einer Schutzhütte, die der Erinnerung an das größte Protestcamp „Republik Freies Wendland“ Anfang der 1980er dient. Hier erhält der interessierte Besucher viele lehrreiche Informationen rund um das geplante Atommüll-Lager und wie dieses die Region und vor allen Dingen die Menschen nachhaltig veränderte. Hier steht auch die Beluga, ein ehemaliges Greenpeace-Schiff, als Mahnmal. Es soll daran erinnern, dass der Salzstock kein sicheres Endlager für Atommüll ist.

Ehemaliges Greenpeace-Schiff "Beluga"

Ehemaliges Greenpeace-Schiff „Beluga“

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