Um es gleich vorwegzunehmen: Nein, weder das Didimobil, noch Didi waren jemals im Spreewald. Ein wirklicher Vergleich kann und soll an dieser Stelle daher auch nicht gegeben werden. Dennoch haben das niederländische Städtchen Giethoorn in der Provinz Overijssel und der Spreewald einige Gemeinsamkeiten: Beide sind stellenweise nur auf dem Wasserwege zu erreichen, sie sind größtenteils autofrei und beide ziehen jährlich rund eine Millionen Touristen an. Doch ist Giethoorn wirklich eine Reise wert?
Das „Venedig des Nordens“ in den Niederlanden
Das Didimobil nutzt das „Venedig des Nordens“ als Zwischenübernachtungspunkt auf einem Kurztrip zu einem Fußball-Testspiel des Herzensvereins im benachbarten Heerenveen. Gegen 18 Uhr findet sich auf dem bereits sehr gut gefüllten Wohnmobilstellplatz am Nordrand des 2.600-Einwohner-Ortes Giethoorn noch ein kleines Plätzchen mit direktem Blick auf ein Maisfeld; hätte Didi doch als Kind bloß nicht den Steven-King-Film „Kinder des Zorns“ geschaut…
Zu Fuß sind es keine zehn Minuten bis zum Verbindungskanal der Dorfgracht mit dem Hauptkanal. Die meisten Tagestouristen sind inzwischen wieder auf dem Heimweg, der gesamte knapp einen Kilometer lange Verbindungskanal ist dicht an dicht vollgeparkt mit elektrisch angetriebenen Touristenbooten – von den Fünfsitzern mit Außenborder zum Selberfahren bis hin zu den 40-Sitzern mit Schlechtwetterplane und Tourguide. Entlang der Promenade in Giethoorn reiht sich ein Gastronomiebetrieb an den Nächsten, einige kleinere Bootsverleiher buhlen auch um diese Zeit noch um Kunden. Zwanzig Euro kostet eine Stunde Flüsterboot zum Selberfahren.
Wasserstraßen und schmale Wege in Giethoorn
Wer schnell Seekrank wird oder sein Geld lieber für etwas sinnvollere Dinge ausgeben möchte, kann Giethoorn auch bequem zu Fuß erkunden. Entlang der Dorpsgracht, dem rund acht Kilometer langen Dorfkanal, schlängelt sich ein schmaler Fußweg, von dem aus die auf kleinen, durch schmale Querkanäle voneinander abgetrennten Inseln liegenden Häuser per Brücken auch trockenen Fußes zugänglich sind.
Gleich zu Anfang des Dorfes und hinter der breiten Promenade am Verbindungskanal liegt das Museum ‚t Olde Maat Uus, welches jedoch bereits geschlossen hat. Angepasst an die tausenden Tagestouristen ist es täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet und zeigt für 6,50€ recht eindrucksvoll die Geschichte des kleines Ortes auf, welcher sich entlang der Dorpsgracht seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hat.
Typisch für Giethoorn sind die sogenannten Kameldach-Häuser. Aufgrund des beengten Raumes auf den kleinen Inseln wurden bei vielen Häusern in Giethoorn die Stallungen mit in das Wohnhaus integriert, wobei das Dach auf der Stallseite höher ausgeführt war als auf der Seite des Wohnhauses. Der so entstandene „Höcker“ brachte den Häusern den Namen Kameldachhaus ein.
Als Giethoorn in die Kinos kam
Bis in die mitte des 19. Jahrhunderts war Giethoorn ein eher armes Bauerndorf. Dies änderte sich schlagartig, als 1958 der Film „Fanfare – … und die Musik bläst dazu“ in die Niederländischen Kinos kam. Der damalige Kassenschlager von Regisseur Bert Haanstra lockte über 2,5 Millionen Besucher in die niederländischen Kinos und löste so den Besucherstrom in dem kleinen Wasserdorf aus. Heute gibt es nur noch wenige landwirtschaftlich genutzte Gehöfte in Giethoorn, die meisten Stallungen sind inzwischen in Wohnraum umgewandelt und werden teilweise als Ferienwohnung, Atelier oder Café auch einer touristischen Nutzung zugeführt.
Weniger Menschenmassen in den Abendstunden
Ein Vorteil eines Besuches während der Abendstunden ist, dass die meisten Tagesgäste inzwischen wieder abgereist sind. Auf dem Dorfkanal, auf dem ansich eine Art Einbahn-Regelung gilt, fahren dennoch zahllose Touristenboote und Touristen mit Booten teilweise wie mit dem Autoscooter kreuz und quer, natürlich nicht, ohne sich mehr oder weniger unabsichtlich regelmäßig gegenseitig aus dem Weg zu rammen. Wenn tagsüber die schiere Masse an Booten, die heute abend bereits fest vertäut an den Ladestationen entlang des Verbindungskanals liegt, ebenfalls noch in die Gracht einfällt, dürfte das absolute Verkehrschaos auf dem Wasser komplett sein.
Auch auf den schmalen Gehwegen ist heute abend noch viel Betrieb. Neben sehr vielen Touristen aus Arabien und Fernost (allein bis zu 200.000 Chinesen besuchen jedes Jahr Giethoorn) kommen am Abend auch immer mehr Einheimische aus ihren Häusern für einen kleinen Plausch mit den Nachbarn, zur abendlichen Jogging-Runde oder zum Grillen auf der Terrasse – meist abgeschirmt von den überneugierigen Blicken so mancher fernöstlicher Pauschaltouristen durch hohe Hecken und sehr gepflegte Vorgärten mit bunt blühenden Rhododendren-Büschen.
Hin und wieder gibt es entlang des Dorfkanals kleine Läden, die hauptsächlich Touristen-Nepp zu überteuerten Preisen feilbieten, Cafés, Bars und Restaurants der gehobenen Preiskategorie. Viele Gastronomen betreiben eigene Rundfahrtboote, die direkt vor den jeweiligen Gastronomiebetrieben vor Anker liegen.
Fazit: Lohnt ein Besuch in Giethoorn?
Alles in Allem ist Giethoorn einen Kurzbesuch wert, aber möglichst nur in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden. Tagsüber muss es mehr als überlaufen sein, in Anbetracht der schieren Masse an Ausflugsbooten wird es nicht nur auf der Gracht zu einem regelrechten Verkehrschaos kommen, auch die schmalen Wege werden dem Tagesansturm eher nicht gewachsen sein. Wer abends durch den Ort flanieren möchte, sollte sich dessen bewusst sein, dass es sich um ein Dorf mit 2.600 Einwohnern handelt und ab spätestens 20 Uhr fast sämtliche Gastronomiebetriebe die Stühle hochstellen. Wer also sowieso in der Nähe vorbeikommt, für den lohnt ein Abstecher allemal, extra einen stundenlangen Umweg fahren lohnt sich meiner Meinung nach jedoch eher nicht.
Weitere Informationen über Giethoorn gibt es auf der Seite von Jolanda Zwaantje: https://www.zwaantje.nl/de.index.html