Zurück nach Dublin
Donnerstag, 25.04.2019
Nach dem stürmisch-regnerischen Abend gestern begrüßt uns heute morgen die Sonne auf dem kleinen Campingplatz in Doolin, gut 250 Kilometer von Dublins Fährhafen entfernt. Um 16 Uhr legt dort unsere Fähre nach Cherbourg in Frankreich ab, der Check-In endet eine Stunde früher. Gute vier Stunden reine Fahrzeit sollten reichen, großes Sightseeingprogramm fällt damit heute aus.
Um halb zehn sind die Bullis gepackt und die lange Rückreise in die schönste Stadt der Welt kann beginnen. Über kleinste Nebenstraßen hat die Google-Tante mal wieder den kürzesten Weg ausgesucht, fast schnurgerade zieht sich die einspurige „Landstraße“ durch die Felder Irlands. Verkehr herrscht wie gewohnt sehr wenig, und durch die Nähe zu den auch hier allgegenwärtigen Hecken kommen einem die 80km/h fast doppelt so schnell vor.
Keine halbe Stunde nachdem wir Doolin verlassen haben, springt uns auf der linken Seite ein hervorragend erhaltener Rundturm samt Kirchenruine ins Auge. Da brauchen wir nicht lange zu überlegen, der kleine Abstecher zur ehemaligen Klosteranlage Kilmacduagh sollte zeitlich definitiv drin sein. Abgeschirmt durch die wegbegleitenden Steinwälle erkennen wir erst nach einer scharfen Rechtskurve die Horden von überwiegend jungen Bustouristen ziemlich lust- und planlos über die Straße trotten.
Zwei Irland-Tour-Rundfahrt-Busse stehen auf dem kleinen Parkplatz, wir stellen uns dazu und hoffen, dass der Massentourismus möglichst schnell wieder verschwindet. Bergsteigen, Golfspielen und irgendwas mit Weidetieren ist hier sowieso verboten, wie ein Hinweisschild unmissverständlich klarmacht (ja, ich liebe absurde Schilder irgendwie…).
Das Kloster Kilmacduagh wurde bereits im frühen 7. Jahrhundert durch den Heiligen Colman Mac Duagh gegründet, wurde aber bereits im 13. Jahrhundert geplündert und im 16. Jahrhundert endgültig aufgegeben. Von den erhaltenen Überresten ist die Kathedrale aus dem 11. Jahrhundert die älteste Ruine, wobei nicht ganz zuverlässig geklärt ist, ob die kleinere Church of St. John the Baptist sogar noch älter sein könnte. Der Rundturm, der um zwei Fuß von der Senkrechten abweicht, stammt vermutlich aus dem 12. Jahrhundert.
Nach ein paar Minuten verziehen sich die hauptsächlich deutschen und französischen Jungtouristen wieder in ihre Busse, natürlich nicht, ohne sich vorher genüsslich auf dem Friedhofsgelände einen Joint angezündet zu haben. Ein negativeres Beispiel für den Massentourismus kann es kaum geben. Wir genießen noch ein paar Minuten die Ruhe nach dem Sturm, bevor es auch für uns weitergeht, die Fähre wartet nämlich nicht.
Kurz nach Kilmacduagh durchqueren wir den 2.700-Einwohner-Ort Gort, den einzigen größeren Ort auf der Strecke, bevor es weitere 50 Kilometer weiter für uns das erste Mal auf eine irische Autobahn, die M6, geht.
155 Kilometer sind es noch bis zur Fähre, knappe vier Stunden haben wir noch Zeit, als wir auf die Autobahn fahren. Rund 80 Kilometer kommen wir monoton, aber zügig voran, das Wetter zieht sich ohnehin zu und da wir sowieso noch an einem Supermarkt unsere Vorräte auffüllen wollen, legt Didi die gestern neu erworbene CD mit den „besten irischen Pub-Songs“ ein und „cruist“ mit der unglaublichen Didimobil-Maximalgeschwindigkeit von 95km/h über die irische Autobahn.
Rund 60 Kilometer vor Dublin wird die M6 mautpflichtig mit einem dieser sehr dubiosen und undurchsichtigen Mautsysteme, wie sie auch schon bei der Dartford-Crossing in London Anwendung finden, sodass wir ab Kinnegad die Autobahn wieder verlassen und auch prompt einen großen Supermarkt finden.
Um 13:15 erreichen wir das Stadtzentrum von Dublin, zum Abschied regnet es mal wieder und zu allem Überfluss stecken wir mitten drin im alltäglichen Verkehrswahnsinn der irischen Hauptstadt. 25 Minuten sollen wir laut Google für die letzten sieben Kilometer bis zur Fähre benötigen, die sieben Minuten extra für den Stau schon eingerechnet. Am Ende benötigen wir eine knappe Stunde, da wären wir zu Fuß fast schneller gewesen. Immerhin ist das Didimobil trocken und die Musikauswahl auf der CD wirklich hörenswert.
Um 14:15 erreichen wir endlich den Check-In für die Fähre. Die Einschiffungsprozedur zieht sich in die Länge, zwei Reisebusse mit französischen Schulklassen machen scheinbar Probleme und auch sonst wirkt alles etwas unbeholfen. So eine Schiffspassage innehalb der EU scheint manchmal schwieriger zu organisieren zu sein als ein Törn zur Isle of Man. 😉
Die nagelneue Fähre W. B. Yeats wurde in Flensburg gebaut und erst im Januar dieses Jahres in Dienst gestellt und wartet bereits sehnsüchtig auf uns. Allerdings werden der Feuerwehrmann und das Didimobil bei der Auffahrt zur Fähre getrennt: Das Didimobil kommt nach unten zu den LKW, der weitaus niedrigere Bulli des Feuerwehrmannes nach oben zu den PKW. Über unsere Kabinennummern haben wir uns während der langen Wartezeit natürlich nicht ausgetauscht…
Die Kabine ist mehr oder weniger eine einfache Standardkabine, hält dafür aber ganze vier sehr voluminöse Kopfkissen für eine Einzelkabine parat. Viel interessanter als die Kabine ist allerdings derzeit herauszufinden, wo die anderen Beiden abgeblieben sind. Ich schreibe eine WhatsApp, denn telefonisch kann ich keinen von beiden erreichen.
Ich durchkämme das Schiff; es macht einen sehr angenehmen Eindruck im Vergleich zu den ordinären Liniendampfern auf den Strecken von Europa nach Großbritannien, einzig die rund 120 an Bord umherwuselnden französischen Schüler trüben den Gesamteindruck. Am Bug finde ich eine schöne Panorama-Bar mit Blick nach vorn, und es dauert auch gar nicht lange, bis wir alle drei wiedervereint unser letztes Guinness auf irischem Hoheitsgebiet genießen können.
Gemütlich schaukelt die W.B.Yeats aus dem Hafen von Dublin, zum Abendessen gibt es eine Pizza aus dem Bordbistro, da das richtige Restaurant nur Drei-Gänge-Menüs ab 50,-€ aufwärts anbietet – kein Wunder also, dass es dort menschenleer ist. Ein, zwei weitere Guinness und ein paar Runden Skip-Bo später begeben wir uns ins Bett und verabreden uns für „zwei Stunden vor Ankunft“ zum Frühstück im Café.
Bonjour Frankreich
Freitag, 26.04.2019
„Zwei Stunden vor Ankunft“ ist eine genauso vage Angabe wie neun Uhr. Laut Fahrplan soll die W.B.Yeats um 11 Uhr in Cherbourg anlegen. Frankreich liegt in der Mitteleuropäischen Zeitzone und somit eine Stunde vor der irischen Greenwich Main Time, sodass wir bereits um zehn Uhr irischer Zeit in den Hafen einlaufen werden. Da auf See kein sinnvoller Mobilfunkempfang möglich ist (ausser man gewinnt vorher im Lotto und ist bereit, seine Telefonrechnung zu sprengen), laufen unsere Mobiltelefone im Flugmodus, stellen sich also nicht automatisch auf die neue Uhrzeit um. Dennoch schaffen wir es, „zwei Stunden vor Ankunft“ gemeinsam zu frühstücken.
Überpünktlich um fünf Minuten vor elf hat die W.B.Yeats im Hafen von Cherbourg festgemacht, der Entladevorgang geht zügig vonstatten. Einzig an der französischen Grenzkontrolle nerven die Grenzer mit Ausweiskontrollen, Irland gehört nämlich genauso wie Großbritannien nicht zum Schengen-Raum. Diese Tatsache würde immerhin den Brexit an der inneririschen Grenze etwas vereinfachen…
Ähnlich wie am Fährhafen in Calais begrüßt Frankreich seine motorisierten Gäste mit einem Kreisverkehr, und genau wie in Calais fühlt es sich nach einer vierstelligen Kilometerzahl durch das Land der Falschfahrer nicht richtig an, rechts herum durch diesen zu fahren.
Wo genau wir hinwollen, wissen wir noch nicht. Das Ziel ist, so weit wie möglich ohne kostenpflichtige Autobahn nach Norden zu gelangen. Aus 2016 weiß ich, dass es in Amiens einen großen Campingplatz gibt, und so wird das unsere grobe Richtung werden. Das Wetter ist ideal für eine Tour durch die Normandie. Vieles erinnert noch an Irland: Der Baustil der Häuser, die eher mittelmäßigen Landstraßen, die Planlosigkeit, mit der wir uns den Weg bahnen…
Ich bin zugegebener Maßen kein großer Freund von Frankreich. Angefangen vom Französischunterricht in der Schule, wo mir die zwei schlimmsten Lehrerinnen der ganzen Schule den Spaß an der französischen Sprache vermiest haben, bis hin zu eher negativen Erfahrungen mit der Überheblichkeit der französischen Bevölkerung gibt es eigentlich kaum etwas, was mich freiwillig nach Frankreich ziehen würde. Auch die Horden eher nicht so gesellschaftsfähiger Jugendlichen auf der Fähre trugen für mich nicht zur gesteigerten Vorfreude auf Frankreich bei.
Die D-613 verläuft ziemlich geradlinig in Ost-West-Richtung quer durch den Norden der Normandie und wird gesäumt von unzähligen kleinen Straßendörfern mit so interessanten Namen wie Croissanville, L’Hôtellerie oder Lion d’Or. In einem der kleinen Ortschaften halten wir an und genehmigen uns einen Kaffee. Es gelingt, mit dem Cafébesitzer auf französisch zu kommunizieren, er gibt sich merkbar Mühe, uns zu verstehen und auch langsam und deutlich zu antworten. Der Kaffee ist ebenfalls hervorragend, einer dieser winzigen, einem Espresso ähnlichen Kaffees, die ich auf dem Balkan so liebe.
Frisch gestärkt und ein wenig positiv überrascht geht es weiter. Eine halbe Stunde später erreichen wir die 20.000-Einwohner-Stadt Lisieux. Auf den ersten Blick eine triste Plattenbau-Stadt, allerdings mit einem recht überschaubaren, schöneren Ortskern rund um die Kathedrale St-Pierre aus dem 12. Jahrhundert. Wir überlegen kurz, anzuhalten, begnügen uns dann jedoch damit, sowieso einmal quer durch die Stadt fahren zu müssen.
Östlich von Lisieux ändert sich allmählich der Baustil; die auch in Irland und Großbritannien weitverbreiteten Natursteinhäuser weichen einfachen Fachwerkhäusern, und auch Schiefer wird in dieser Region vermehrt im Gebäudebau verwendet. Hat ein Bißchen was vom Harz, nur halt auf französisch.
Rouen hat gut 110.000 Einwohner, und Google lotst uns mitten durch die verstopften Straßen der Hafenstadt an der Seine. Immerhin hat sich die Fahrweise der Franzosen seit Abschaffung der Ente etwas zivilisiert, vielleicht kommt mir das aufgrund meiner Balkan-Reisen aber auch nur so vor. 20 Minuten für sieben Kilometer, erinnert irgendwie an Dublin. Kein Wunder also, dass uns an der Kreuzung ein großes Schild die Grüne Insel schmackhaft machen möchte.
Hinter Rouen ist die Autobahn gebührenfrei, es herrscht wenig Verkehr und wir kommen zügig voran. Allerdings wird das Didimobil langsam durstig, an der Autobahn zahlt man sich auch in Frankreich noch dumm und dusseliger als schon auf dem Lande, daher verlassen wir die Autobahn rund 20 Kilometer hinter Rouen wieder und suchen in den winzigen Orten entlang der parallelen Bundesstraße nach einer Tankstelle.
Franzosen tanken eher selten oder betreiben ihre Autos mit Rotwein, jedenfalls dauert es eine ganze Weile, bis wir in Saint-Saëns endlich eine Tankstelle an einem Supermarkt finden. Dort tankt man und fährt(!) hinterher zu einem Kassenhäuschen an der Ausfahrt, wo man den fälligen Betrag bezahlt. Da Diesel in Frankreich vergleichsweise sehr teuer ist, betanken wir beide Bullis für jeweils zwanzig Euro, das sollte reichen, um bis nach Luxemburg zu kommen. An dem Kassenhäuschen gelingt es mir dann sogar, der Dame zu verklickern, dass ich per Kreditkarte für beide Tankrechnungen bezahlen möchte.
Natürlich verliere ich beim Verlassen der Tankstelle den Feuerwehrmann und finde keine Möglichkeit, irgendwo anzuhalten. Schließlich stelle ich mich vor einen Parkplatz, sodass ich für die zwei Minuten den Straßenverkehr nicht behindere, doch Pustekuchen: Innerhalb von Sekunden kommt ein übereifriger Gendarm vorbeigewatschelt: Ob es denn in Deutschland keine Verkehrsregeln gäbe, ich stünde vor einer Schule und da dürfe man absolut nicht stehen, auch nicht warten. Dann kam er mit irgendwas wegen Terrorismus und so und verjagte mich – da vorne sei ein Parkplatz. Natürlich alles besetzt und so, dass mich der Feuerwehrmann nicht sehen kann. Das Im-Kreis-Fahren meinerseits gefällt dem Gendarm dann auch wieder nicht, und er kommt böse guckend in meine Richtung geschlendert. Zum Glück kommt in diesem Moment der Feuerwehrmann um die Ecke und der Gendarm kann sich wieder den wirklich wichtigen Dingen im Leben zuwenden.
Hinter Amiens verlassen wir die Autobahn; rund 30 Kilometer nordöstlich von Amiens soll es in Albert einen Campingplatz in fußläufiger Entfernung zu Pubs und Restaurants in der Stadt geben. Tatsächlich gibt es in dem 10.000-Einwohner-Ort mit seiner sehenswerten Basilika einen kleinen Campingplatz. Auch mit der Betreiberin kann ich mich wunderbar mit meinen eher rudimentären Französischkenntnissen verständigen, sie ist sehr geduldig und erkärt mir alles doppelt und dreifach bis ich so tue, als hätte ich es endlich verstanden.
Zu Fuß sind es gute zehn Minuten in die Stadtmitte rund um die Basilika Notre-Dame de Brebières, die mit ihrem markanten goldenen Türmchen eher an Rußland als an Frankreich erinnert. Statt lokale Spezialitäten auszutesten entscheiden wir uns für einen englischen Pub; der Besitzer spricht mit uns englisch, da es dort fast ausschließlich Engländer zum Essen hinzieht. Genauso ist das Essen dann auch – zähes Steak und alles was dazu gehört.
Während wir beim Essen sitzen, kommen auf der Straße mehr und mehr Feuerwehrfahrzeuge vorbei, und die Polizei sperrt die Straße ab. Das lässt dem Feuerwehrmann natürlich keine Ruhe. Vor knapp zwei Wochen ist in Paris die weltbekannte Kathedrale Notre-Dame abgebrannt, heute quillt Rauch aus dem Kirchturm der Notre-Dame von Albert. Da scheint Quasimodo ziemlich wütend zu sein…
Der „Brand“ ist scheinbar schnell gelöscht, wir gehen noch in eine kleine Spelunke auf ein Schlummerbier und werden morgen im Internet lesen, dass es sich beim Brand der Basilika Notre-Dame de Brebières lediglich um eine Übung der örtlichen Feuerwehr handelte und das Gotteshaus keinerlei Schaden davongetragen hat – anders als im ersten Weltkrieg, wo die Basilika schwerste Schäden davongetragen hatte.