Der letzte Tag in Irland
Mittwoch, 24.04.2019
Da hat der Esel auf der Weide nebenan nochmal Glück gehabt, dass er genauso ein Morgenmuffel ist wie ich, hätte er von Sonnenaufgang bis jetzt „Ih-Ah“ gemacht, gäbe es ihn jetzt zum Frühstück. 😉
So haben wir sehr ruhig geschlafen hier in Ballycarra, das Sanitärgebäude ist zwar ungeheizt, die Duschen dafür angenehm warm. Ein etwas schüchterner älterer Herr, den wir gestern abend bereits in einem der Pubs gesehen hatten, schleicht über das Gelände und schaut auch in alle Sanitärgebäude. Als ich vom Duschen komme, frage ich ihn, ob er der Platzwart sei, was er bejaht. Somit können wir auch unsere Schuldigkeit für die Übernachtung begleichen und guten Gewissens in unseren letzten richtigen Urlaubstag auf der Atlantikinsel starten.
Der Wettergott meint es heute leider nicht mehr ganz so gut mit uns, die Wolken hängen tief und es nieselt fröhlich vor sich hin. Dennoch soll unser erstes Ziel am heutigen Tage der kleine Ort und angebliche Geheimtip Leenaun am Ende des Killaroy Harbour, einem von nur drei irischen Fjorden, sein. Hier werden wir sicherlich auch etwas zum Frühstücken finden, hoffen wir.
Über einspurige Nebenstraßen lotst uns die Google Maps Tante südlich um Castlebar herum, und kurz vor Mace erspähen wir von der R330 aus die Ruine einer Kirche. Neugierig wie wir sind biegen wir auf eine Art Feldweg ab, um einen besseren Blick auf die Ruine von Saint Patrick’s Church zu erhaschen. Einen Weg gibt es nicht dorthin, jedenfalls nicht von hier. Da es immer noch nieselt, belassen wir es bei ein paar Fotos von Saint Patrick’s Church in Toorbuck, Co. Mayo, und fahren weiter die kleine Straße in die irische Wildnis hinein.
Eine Viertelstunde später erreichen wir bei A(u)ghagower wieder die Hauptstraße, sehr zur Freude der Google Maps Tante, die es zwischenzeitlich mit der Angst bekam und uns immer wieder zum Wenden ermuntern wollte. Dass die Gemeinde mit rund 40 Häusern, zwei Pubs, einem Laden und einer Kirche sehr eng mit dem irischen Nationalheiligen Saint Patrick verbunden ist, lässt sich an der Kreuzung mit der Hauptstraße unschwer erkennen: Im Kirchenhof hängt ein farbenfroher Jesus am Kreuz nebst fast noch farbenfroherer Gefolgschaft daneben (nicht am Kreuz).
Je weiter man Richtung Leenaun kommt, desto bergiger wird die Landschaft. Hier erinnert Vieles inzwischen an Schottland, oder vielleicht doch wieder Norwegen? Der Regen und die sehr tief in den Bergen hängenden Wolken lassen eine recht mystische Stimmung aufkommen, es würde nicht verwundern, wenn jeden Moment ein Leprechaun, ein gutmütiger Kobold, der tief in der irischen Tradition verwurzelt ist, die Straße kreuzte.
Wirklich beeindruckend ist hier das erste Mal das unglaublich satte Grün an Bäumen und auf Wiesen. Zwar hört man immer wieder, dass Irland auch die Grüne Insel genannt wird, doch dass die Natur tatsächlich dermaßen grüne Grüntöne auf Lager hat, hätten wir nicht gedacht.
Ähnlich wie letztes Jahr in Schottland treffen wir auf den zwanzig Kilometern entlang der gut ausgebauten N59 bis Leenaun nur eine Handvoll andere Fahrzeuge inmitten einer Landschaft, die auch – oder gerade – bei Regen und Hamburger Wetter ihren ganz eigenen Reiz versprüht.
An der Glenacally Bridge legen wir einen kurzen Fotostop ein, hier gibt es das wohl grünste Gras auf unserem gesamten Irland-Roadtrip zu bewundern – und gleichzeitig die wohl zotteligsten Schafe der ganzen Insel, die in dem saftigen Gras neben der typisch irischen Steinbrücke friedlich grasen.
Knapp zehn Minuten später erreichen wir den Killary Harbour, der die Bezeichnung Fjord an dieser Stelle mehr als zu recht trägt. Mit ein wenig Phantasie könnten wir uns tatsächlich mitten in Norwegen im Land der Fjorde befinden; die benachbarten Bergspitzen sind nach wie vor in den Wolken verschwunden.
Kurz darauf erreichen wir den „Geheimtip“ Leenaun. Über eine moderne Steinbogenbrücke überqueren wir den Lahill, einen kleinen Gebirgsbach, der den Ort in zwei Hälften teilt. Bis 2007 stand an dieser Stelle eine 182 Jahre alte Steinbogenbrücke, die am 18. Juli des Jahres nach anhaltenden intensiven Regenfällen durch den zu einem reißenden Fluss angeschwollenen Lahill weggespült wurde. In der Folgezeit waren die beiden Ortshälften von Leenaun nur durch einen rund 100 Kilometer langen Umweg untereinander erreichbar.
Wir parken die Bullis und finden sehr schnell ein kleines, uriges Café, wo wir sehr lecker frühstücken. Der kleine Ort Leenaun, der von den Einheimischen auch Leenane genannt wird, besteht aus rund 60 Häusern, drei Pubs und einer Tankstelle, die – wie in Irland häufig anzutreffen – aus ein paar Zapfsäulen vor einem der örtlichen Pubs besteht.
Nach dem leckern Frühstück klart das Wetter langsam auf. Der „Geheimtip“ entpuppt sich zeitgleich zu einem Pauschaltouristenhotspot, denn gerade als wir wieder fahren wollen, kommen drei Reisebusladungen Tagestouristen angekarrt und überschwemmen den Ort. Zum Glück darf man auf der folgenden Landstraße 100 km/h fahren, ob man es aus topographisch-physikalischer Sicht aus aber wirklich kann, wollen wir lieber nicht ausprobieren…
Etwas weiter westlich von Leenaun – wir folgen inzwischen wieder dem Wild Atlantic Way – liegt der offizielle Aussichtspunkt auf den Killary Harbour an der Stelle, an der der bis zu 45 Meter tiefe Fjord einen scharfen Knick nach links beschreitet. Besonders bekannt ist der Killary Harbour für seine Muschelzuchten, und überall im Wasser sieht man die Reusen der Muschelfischer schwimmen. Bei schönem Wetter gibt es ebenfalls die Möglichkeit, den Fjord mit einem Ausflugsboot zu erkunden.
Inzwischen hat der Regen aufgehört und wir fahren weiter auf dem Connemara Loop, einem Teil des Wild Atlantic Way, über die Halbinsel Connemara mit dem namensgebenden Nationalpark. Über eine große Hochmoorebene erreichen wir nach rund 15 Minuten Fahrzeit Kylemore Abbey, die älteste irische Benediktinerabtei von 1665, die sich heute in dem 1871 erbauten Kylemore Castle befindet.
Das stattliche Anwesen mit seinen Türmchen und den markanten Burgzinnen ist bereits von der Landstraße aus gut zu sehen, bei genauerem Betrachten fällt jedoch auf, dass gerade umfangreiche Renovierungsarbeiten stattfinden. Die große Parkanlage und das Schloss selber kosten 14,-€ Eintritt pro Person, das ist es uns dann doch nicht wert und wir begnügen uns mit dem Anblick aus der Ferne.
Etwa 15 Kilometer weiter zweigt die Sky Road vom Connemara Loop ab. Nichts für schwache Nerven sei diese Straße, heißt es auf englischsprachigen Internetseiten, und sie solle ihrem Namen alle Ehre machen. In einer Schleife führt die gut 13 Kilometer lange Straße in bis zu 100 Metern Höhe immer entlang einer dem Örtchen Clifden vorgelagerten Halbinsel, die Ausblicke von oben über die vorgelagerten Inseln sind tatsächlich einen kleinen Abstecher wert.
Zuerst schlängelt sich die Sky Road direkt auf Meeresebene die Küste entlang, bis sie immer steiler werdend den auf halbem Weg liegenden Aussichtspunkt auf gut 100 Höhenmetern erreicht. Kaum sind wir oben angekommen, beginnt es wieder zu regnen. Für ein Foto hinaus auf den diesigen Horizont des Atlantik ist trotzdem noch Zeit.
Die Fahrt hinab nach Clifden bietet tolle Panoramablicke auf die Clifden Bay, ich liebe ja solche Straßen. Und so schlimm, wie die Engländer es auf Ihren Internetseiten darstellen, ist die Straße nun wirklich nicht.
Von Clifden aus sind es noch rund 150 Kilometer bis zu den Klippen von Moher. Das Wetter ist derzeit mehr als unbeständig und macht keine große Lust, irgendwo lange anzuhalten oder zu verweilen. Google veranschlagt zweieinhalb Stunden, wir könnten also gegen 16 Uhr dort sein und uns danach um einen Campingplatz kümmern.
Nach knapp 100 Kilometern taucht vor uns plötzlich und unerwartet eine stolze Burg, das Dunguaire Castle, auf. Sind wir doch aus Versehen in Schottland gelandet? Gunguaire Castle wurde im Jahre 1520 errichtet und fungierte Zeit seines Lebens als sogenanntes Towerhouse bzw. Schloss und hatte nie eine strategisch-militärische Bedeutung.
Dunguaire Castle erinnert ein wenig an das Eilean Donan Castle in Schottland, nur ohne Brücke. Und kleiner. Und eher nicht überlaufen. Dennoch bleiben wir unserer ungeschriebenen Tradition treu, die Burg nicht von innen zu besichtigen und setzen unseren Roadtrip fort.
Eigentlich mag ich Navigationssysteme ja nicht, und wenn ich alleine unterwegs bin und/oder nicht gerade ein festes Ziel auf direktem Wege erreichen möchte, nutze ich die Dinger eher selten. Meine Reiseberichte schreibe ich oftmals Monate nach den Touren, und interessanter Weise kann ich die Strecken, die ich ohne Navigationssystem zurückgelegt habe, auch Monate später auf Landkarten noch genau nachzeichnen, bei „geführten“ Etappen gelingt mir das im Regelfall nicht mehr. Dennoch hat zumindest Google Maps einen Vorteil: Auch wenn das Ziel bereits groß und deutlich ausgeschildert ist, kennt die Tante noch immer interessante Abkürzungen und Schleichwege, und so kürzt sie kurz darauf eine Umfahrung des Abbey Hill durch den Burren durch eine kleine, direkte Straße ab.
Durch Zufall erspäht Didi aus dem Augenwinkel die Ruinen von Corcomroe Abbey – oder auch „Heilige Maria der fruchtbaren Steine“ genannt – , einer Zisterzienserabtei aus dem 12. Jahrhundert. Dass sich auf der anderen Seite der Straße just an diesem Ort eine Schokoladenmanufaktur befindet ist reiner Zufall, was von meinen Mitreisenden jedoch leicht angezweifelt wird.
Nur ein paar Minuten weiter erblicken wir auf der rechten Seite eine weitere Ruine, zu der es sogar eine Straße gibt. Wir nehmen an, dass es sich um einen antiken Leuchtturm handeln könnte, nur noch Reste eines Turmes mit quadratischer Grundfläche sind vorhanden und keinerlei Hinweisschilder. Zu Hause recherchieren wir, dass es sich um die Reste des Muckinish West Tower House handelt, auch bekannt als Shanmuckinish Castle aus dem Jahre 1450.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zu unserer letzten geplanten Station auf unserem Irland Roadtrip, den Cliffs of Moher. Die rund 200 Meter hohen, senkrecht zum Atlantik hin abfallenden Klippen sind die mit Abstand bekanntesten Klippen Irlands, obwohl sie bei Weitem nicht die Höchsten sind. Das Didimobil merkt den Anstieg auf den letzten Metern sehr deutlich und kraucht nur langsam dem kostenpflichtigen Parkplatz entgegen.
TIP
Wie auch schon beim Giant’s Causeway ist der Zugang zu den Cliffs of Moher generell kostenlos. Einzig die Ausstellung im Besucherzentrum und der Parkplatz kosten Geld. Wer etwas Zeit mitbringt und gut zu Fuß ist, sollte auf einen der kostenlosen Parkplätze z.B. in Doolin ausweichen und die rund sieben Kilometer entlang des schönen Klippenwanderweges zurücklegen. Auch wird der Parkpreis von 8,-€ pro Person berechnet, wer also dennoch mit dem Auto auf den Parkplatz fahren möchte, sollte seine Mitfahrer dringend vorher aussteigen lassen.
Wer vor 8 und nach 21 Uhr kommt, parkt übrigens kostenlos.
Zähneknirschend bezahlen wir die 8,-€ Parkgebühr pro Person, denn es beginnt gerade wieder zu regnen, wodurch wir keine große Lust haben, heute abend noch lange Strecken durch den Regen zu laufen. Der Anblick der Klippen von Moher ist dennoch beeindruckend, trotz miserabler Sicht durch den Regen. Die schiere Mächtigkeit der Cliffs of Moher fällt aufgrund fehlender Bezugspunkte zuerst gar nicht wirklich auf, bis man entfernt auf der Klippenoberkante Menschen in Ameisengröße laufen sieht.
Zu dem Regen gesellt sich jetzt auch noch Wind, weshalb wir uns in das Café im Besucherzentrum zurückziehen und bei einer heißen Schokolade und einem umwerfend füllenden Schokokuchen nach einem Campingplatz für die Nacht suchen. Ganz in der Nähe in Doolin werden wir fündig, mehrere Pubs mit Livemusik sollen fußläufig erreichbar sein. Das klingt doch gut.
Der Campingplatz in Doolin ist falsch ausgeschildert. Während Google „geradeaus“ vorgibt, zeigt der Wegweiser nach links. Dort sieht es interessanter aus, leider ist es eine Sackgasse. Google 1, Didi 0.
Auf dem kleinen Campingplatz schwärmt man auf die Frage nach einem Pub für den Pub gegenüber, der sich eher als eine Art Hotelbar entpuppt und laut Internet bereits um 21:30 schließt. Didi treibt einen Pub im kleinen Dorfkern auf, hier soll die Wiege der irischen Musik liegen, der Pub bis Mitternacht geöffnet haben und jeden Abend Livemusik spielen. Und essen kann man dort angeblich auch.
Als es aufhört zu regnen machen wir uns auf den zehnminütigen Weg in das beschauliche Fischerdorf Doolin zu Gus O’Connor’s Pub. Um 21 Uhr soll die Livemusik beginnen, der nicht gerade kleine Pub ist bereits jetzt, zwei Stunden vorher, mehr als gut gefüllt. Nach ein wenig Hin und Her ergattern wir einen Platz für drei direkt neben dem Tisch der Band, das Essen ist klasse und wie der Zufall so will kommt das nette Päärchen am Nachbartisch nicht nur aus Hamburg, sondern wohnt auch in fußläufiger Nachbarschaft zum Feuerwehrmann und der Krankenschwester.
Das Essen ist vorzüglich, das Guinness schmeckt und die Band lässt einen spüren, dass man in Irland angekommen ist. Highlight des Abends aber ist ein älterer Mann, der sich irgendwann einen Stuhl neben die Band stellen lässt und voller Inbrunst anfängt, lokale Klassiker zu singen. Wahnsinn. ♥