Über den Wild Atlantic Way nach Westen
Dienstag, 23.04.2019
Guten Morgen vom Rockhill Holiday Park in Kerrykeel. Auf dem Weg zum Pub entdeckten wir gestern eine Werkstatt direkt neben der Zufahrt zum Campingplatz. Da das Didimobil inzwischen über 2.000 Kilometer seit dem Einbau eines neuen Zylinderkopfes unterwegs ist und ansich die Schrauben nach 1.000 Kilometern nachgezogen werden sollen, begebe ich mich gleich nach dem Duschen mit der Anleitung, die ich von der Werkstatt meines Vertrauens mit auf den Weg bekommen habe, zu Fuß dorthin. Viel beschäftigt sei man in der Werkstatt, und ob ich denn einen Termin hätte? Angeblich ist das Nachziehen der Schrauben eine Sache von zehn Minuten, allerdings müsse der Motor dafür kalt sein, bekomme ich gesagt. Wäre er, da ich gerade einmal 400 Meter von hier entfernt stehe. Wenn das so ist, dann könne ich gerne morgen nachmittag oder übermorgen vorbeikommen, aber heute Morgen ist da wirklich nichts zu machen.
Das Didimobil hat auf all den Touren der letzten fünf Jahre nur sehr wenige Probleme gehabt, insgesamt vier Mal war es unterwegs in einer Werkstatt. Einmal in Deutschland, einmal in der Schweiz und zweimal in Albanien, und nirgends war es ein Problem, einen größeren Defekt zu lokalisieren und zu beheben, auch wenn das mehrere Stunden dauerte. Großbritannien ist das „Land der Bulli-Liebhaber“, ob das für Irland auch gilt, kann ich nicht wirklich sagen, da wir diesen Urlaub keinen einzigen T3 treffen sollen, aber ohne Termin für eine Sache von zehn Minuten möchte man einem hier partout nicht helfen.
Ohne nachgezogene Schrauben begeben wir uns also zurück Richtung Letterkenny und weiter gen Süden, zurück nach Nordirland. Die Krankenschwester kam mit dem Postkartenschreiben gar nicht so schnell hinterher, wie wir plötzlich wieder in der Republik Irland waren, sodass sie noch zwei britische Briefmarken besitzt, mit denen man Postkarten eben nur in die roten nordirischen, nicht aber die grünen irischen Briefkästen einwerfen kann.
Über einsame, teilweise schnurgerade, durchweg sanierungsbedürftige Landstraßen erreichen wir nach einer Stunde Fahrt die Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland. Zum bereits zweiten Mal überqueren wir auf diesem Roadtrip die innerirische Grenze, allerdings das erste Mal auf dem Landwege. Auf den beiden Fährpassagen gab es keinerlei Hinweise darauf, dass man sich nach Ankunft nicht nur am anderen Ufer, sondern auch in einem anderen Land befindet, und auch auf der Straße gibt es hier auf der R235 zwischen Castlefinn (Irland) und Castlederg (Großbritannien) keinen einzigen Hinweis darauf, dass man von einem Staat in einen anderen fährt. Geht es nach den Bürgern Großbritanniens, entsteht hier im Oktober eine EU-Aussengrenze…
Im nächsten Ort Castlederg finden wir auf Anhieb einen roten Briefkasten der Royal Mail, sodass die Postkarten den Wettlauf darum, wer zuerst zu Hause ist, beginnen können.
Etwa dreißig Kilometer südlich von Castlederg befindet sich die langgestreckte Insel Boa Island im Lower Lough Erne, welche über Brücken mit dem Festland verbunden ist. Wir hoffen, dort ein Strandcafé oder etwas Vergleichbares zu finden, um in Ruhe zu frühstücken und unsere letzten britischen Pfund auszugeben.
Inzwischen sind dunkle Wolken aufgezogen und pünktlich mit dem Überqueren der Brücke nach Boa Island fängt es an zu regnen. Boa Island ist eine sehr flache und schmale Insel, ab und an hat man auf beiden Seiten der Straße Wasser. So schön die Insel bei Sonnenschein auch sein mag, so unbewohnt und naturbelassen ist sie dabei. Einzelne Ferienhäuser finden sich entlang der einzigen Straße, Pubs oder andere Einkehrmöglichkeiten sind hingegen Mangelware.
Zurück auf dem Festland soll es im 15 Kilometer entfernten Ort Belleek laut Google ein nettes Restaurant geben. Auf dem Weg dorthin zweigt links eine Straße in ein Waldstück ab und führt mitten durch eine mittelalterliche Burgruine. Castle Caldwell wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbaut und war einst ein prachtvolles Anwesen, welches in seiner wechselvollen Geschichte mehrmals den Besitzer wechselte. 1876 wechselte die Burg bei einer Versteigerung erneut den Besitzer, danach verliert sich die Spur. Heute stehen nur noch die Überreste als Einfahrt zum Castle Caldwell Forest Park, einem kleinen Naturschutzgebiet am Nordrand des Lough Erne.
In Belleek finden wir schnell einen Parkplatz. Ein kleines reetgedecktes Haus mit einem Café gleich gegenüber erlangt unsere Aufmerksamkeit. Und tatsächlich ist der The Thatch Coffee Shop richtig urig, die ausschließlich einheimischen Besucher überaus freundlich und gesprächig. Die Snacks und Getränke werden hier mit Liebe zubereitet, die Zeit wird entschleunigt und man fühlt sich auf Anhieb heimisch. Eine sehr gute Entscheidung, hier einzukehren. Wir legen all unsere restlichen Pfunde zusammen und behalten dennoch insgesamt rund fünf Pfund über. Was solls, die nächste Tour nach Großbritannien ist ja bereits in Planung. 😉
Eine ganze Stunde haben wir im The Thatch Coffee Shop hier in Belleek verbracht, bevor wir unsere Fahrt über die Grenzbrücke hier im Ort zurück in die Republik Irland fortsetzen. Hinweisschilder sind auch hier Mangelware, lediglich an einer Hauswand an der nächsten Kreuzung heißt man uns in der Grafschaft Donegal willkommen.
So schnell, wie wir in die Republik Irland fuhren, so schnell sind wir an der nächsten Kreuzung auch schon wieder zurück in Nordirland: Exakt 54 Sekunden später sind wir zurück im Land der Meilen und der Queen, …
… nur um neuneinhalb Minuten später bei Currin wieder irisches Territorium zu befahren. Hier steht auch das einzige Schild, welches wir auf der gesamten Reise finden konnten, welches indirekt auf die Grenze hinweist: Speed limits kilometers per hour – Geschwindigkeiten in Kilometern pro Stunde.
Liebe Briten, wollt Ihr es wirklich verantworten, hier Grenzzäune zu errichten und bewaffnete Soldaten patroullieren zu lassen und den Frieden, der hier erst vor wenigen Jahren Einzug gehalten hat, aufgrund Eurer Selbstgefälligkeit und dem Verharren in einer längst vergangenen Überheblichkeit zu zerstören? Es wäre ein Jammer.
Unser nächstes Ziel soll der Glencar Wasserfall in der Nähe von Sligo sein. Der 15 Meter hohe Wasserfall gehört zwar nicht zu den höchsten Wasserfällen Irlands, dafür aber zu den Schönsten. Selbst der bekannte irische Dichter und Literaturnobelpreisträger William Butler Yeats besuchte den Glencar Wasserfall des öfteren in seiner Jugend und erwähnt ihn in seinem Gedicht „The Stolen Child„.
Vom kleinen Parkplatz aus startet ein nur rund 300 Meter langer Rundwanderweg entlang eines kleinen Baches hin zum Wasserfall, welcher von einem vermoosten und dicht bewachsenen Felsvorsprung hinabstürzt.
Mehr oder weniger ziellos setzen wir unseren Roadtrip fort. Die Cliffs of Moher, die wohl bekanntesten Klippen Irlands, ist die grobe Richtung, die wir anpeilen. Noch 210 Kilometer über die Autobahn, das ist nichts für uns, und so folgen wir dem Wild Atlantic Way durch den abgeschiedenen Nordwesten der Grafschaft Sligo und genießen die Entschleunigung.
Etwa einen Kilometer von der Küste entfernt verläuft die R297 als Wild Atlantic Way, immer wieder gibt es Abzweigungen an die Küste. Wir folgen einem Wegweiser zum Aughris Head und stellen fest, dass mal wieder Ebbe ist. Vermutlich werden alle angezeigten Stichwege zur Küste derzeit zu einem kleinen Strand bei Ebbe führen, sodass wir uns die Abzweigungen sparen und stattdessen der Hauptroute des Wild Atlantic Way folgen.
Da parallel in ein paar Kilometer Entfernung eine gut ausgebaute Schnellstraße verläuft, kann man sich hier Zeit lassen, es herrscht nur sehr wenig Verkehr und die meiste Zeit sind wir auf den 50 Kilometern bis Ballina allein auf irischen Straßen unterwegs.
Auffallend in dieser Gegend sind die vielen verlassenen Häuser, von denen teilweise nur noch die Grundmauern stehen. Das harte Leben bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts kann man sich hier recht bildlich vorstellen.
Nach eineinhalb Stunden erreichen wir den nächstgrößeren Ort Ballina. Der 10.000-Einwohner-Ort ist die zweitgrößte Stadt in der Grafschaft Mayo und wirkt beim Durchfahren wie eine echte Großstadt im Vergleich zu der strukturschwachen umgebenden Region.
Die Google Maps Tante lotst uns weiter durch die Einsamkeit Irlands, ich habe als Ziel den kleinen Fischerort Leenaun am Killary Harbour, einem von nur drei Fjorden in Irland, eingegeben. Auch, wenn die mir sehr ans Herz gewachsene pöbelnde und unfreundliche Stimme auf dem neuen Mobiltelefon nicht mehr vorhanden ist, so kennt auch diese Tante die kuriosesten und abenteuerlichsten Wege.
Wir kommen am Levally Lough vorbei, einem kleinen Frischwassersee nördlich von Castlebar, der bei Anglern sehr beliebt ist. Hauptsächlich Hechte soll man hier ganz wunderbar angeln können.
Die Gegend hier wirkt irgendwie überhaupt nicht irisch. Kleine Holzhäuser stehen am Straßenrand, die Vegetation erinnert eher an Taiga und Tundra. Es könnte auch Norwegen sein, oder vielleicht Schweden. Zehn Minuten später befinden wir uns mitten in Rußland, jedenfalls machen die Gebäude zusammen mit der Vegetation diesen Eindruck. Überhaupt gab es auf diesem Roadtrip schon viele Ecken, die uns an andere Länder erinnert haben, von Schleswig-Holstein bis nach Pennsylvania.
Wir erreichen die kleine Stadt Newport im Westen der Grafschaft Mayo. Wir legen eine kleine Pause in dem 650-Seelen-Ort ein, gegenüber unseres Parkplatzes befindet sich sogar ein geöffneter Pub. Da wir noch nicht wissen, wo wir heute abend nächtigen werden, bestelle ich mir vorsorglich eine leckere Lasagne, die beiden anderen belassen es bei einer Suppe.
Während des Essens schauen wir im Internet nach einem Platz für die Nacht. Bis Leenaun sind es noch knapp 50 Kilometer, aber einen Campingplatz scheint es dort eher nicht zu geben. 30 Kilometer entfernt in Ballycarra soll es hingegen einen geben, und auch ein gemütlicher Pub soll direkt nebenan sein. Hört sich gut an, und so machen wir uns mehr oder weniger gut gestärkt auf den Weg dorthin.
Ballycarra ist ein kleines Straßendorf mit zwei Pubs und einem kleinen Campingplatz neben einem Planwagen- und Kutschenverleih. Es gibt keine Schranke, also stellen wir uns auf einen der freien Plätze, was angesichts der Tatsache, dass bei unserer Ankunft erst ein einziger Camper auf dem Platz steht, nicht weiter problematisch ist. Strom gibt es auch und direkt neben unseren Plätzen grasen friedlich zwei Esel.
Auf einem Aushang in der Waschküche wird ein Pub im Ort beworben. Wir ruhen uns noch ein Stündchen aus und Didi schließt eine neue Freundschaft mit dem Esel, bevor wir uns auf den 150 Meter langen Weg zum Pub machen.
Die beiden Pubs in Ballycarra befinden sich direkt nebeneinander, wir schauen zuerst in den am Campingplatz beworbenen Pub hinein. Zu essen gibt es leider nichts, dafür lokales Bier und der Feuerwehrmann bekommt sogar seinen geliebten Pernod. Viel los ist hier nicht, vier Stammgäste sitzen am Tresen und im Fernsehen läuft ein Fußballspiel.
Gegen 21 Uhr wechslen wir die Location, doch auch hier ist nicht viel los und zu Essen gibt es ebenfalls nichts. Dafür hat man auch hier Pernod und am Ende bekommen wir tatsächlich ein Stück von der Pizza ab, die sich der Wirt von weit her hat liefern lassen. 🙂