Freitag, 19.04.2019
Trotz des Dauerrauschens der Autobahn haben wir sehr gut geschlafen, so ein Stadtbummel gepaart mit sehr frühem Aufstehen schlaucht ganz schön. Eigentlich ist es sogar der Wecker, der uns um neun aus dem Reich der Träume reisst, schließlich sollen wir heute abend möglichst bis 19 Uhr am Campingplatz in Belfast, rund 200 Kilometer nordöstlich von Dublin, ankommen.
Für eine Duschmünze im Wert von zwei Euro kann man in den leicht heruntergekommenen und ungeheizten Duschkabinen gute acht Minuten warm duschen; der Feuerwehrmann hat inzwischen Kaffee aufgesetzt. Um zehn Uhr sind wir abfahrbereit und verlassen den Campingplatz vor den Toren Dublins und stürzen uns in das Abenteuer Irland.
Unser erstes Ziel am heutigen Tage soll der kleine Ort Leixlip sein, rund 20 Kilometer westlich von Dublins Zentrum. Hier steht The Wonderful Barn, die „wundervolle Scheune“, eine 1743 errichtete Scheune aus Stein in Form eines runden, siebenstöckigen Turmbaus. Der genaue Hintergrund des Baus dieses Gebäudes ist bis heute ungeklärt, das angrenzende Anwesen ist verlassen und verfällt langsam vor sich hin. The Wonderful Barn selber befindet sich in Privatbesitz und ist nur zu besonderen Anlässen für die Öffentlichkeit geöffnet. Auf dem Grundstück befinden sich weitere, kleinere kegelförmige Turmbauten, die ein wenig an die Tentakel aus dem Computerspiel Day Of The Tentacle erinnern. Ein wirklich einmaliges Gebäude, und da es bislang in kaum einem Reiseführer erwähnt wird, trifft man höchstens ab und an auf einen Bewohner des benachbarten Ortes Leixlip, der mit seinem Hund Gassi geht.
Rund 50 Kilometer nördlich von Leixlip befindet sich eine der bedeutendsten Megalithanlagen der Welt: Das jungsteinzeitliche Hügelgrab Newgrange (irisch: Sí an Bhrú), welches zufällig im Jahre 1699 vom damaligen Grundbesitzer Charles Campbell entdeckt wurde. Das UNESCO Weltkulturerbe datiert auf das Jahr 3.150 vor Christus zurück und ist trotz nur spärlicher Ausschilderung inzwischen ein Touristenmagnet. Von einem Großparkplatz etwa fünf Kilometer entfernt starten regelmäßige Shuttlebusse mit einer geführten Tour, ein freies Besichtigen ohne Tour ist nach dem neuen Konzept nicht mehr möglich. Für 15,-€ pro Person könnten wir in einer Stunde an einer gut 1,5-stündigen Tour teilnehmen. Nicht unbedingt das, was wir uns vorgestellt hatten. Wir verzichten, ebenso wie auf ein kleines Sandwich am Kiosk neben dem Ticketcenter als Frühstück. Knapp neun Euro halten wir für Touristenabzocke.
In einer Werbebroschüre über Irland entdecken wir ein Bild eines Kelten- oder auch Hochkreuzes, welches unsere Neugierde weckt. Auf dem Hill of Slane soll es stehen, welcher sich ganz in der Nähe befindet. Somit ist unser nächster Anlaufpunkt ausgemacht. Entlang des Flusses Boyne, vorbei an Spuren früher Industrialisierung, erreichen wir den kleinen Ort Slane.
Google lotst uns den Berg auf der anderen Seite des Boyne hinauf und durch ein Wohngebiet auf eine schmale Landstraße. „Sie haben das Ziel erreicht“, sagt Google; zu sehen ist allerdings nichts. Da die Straße verhältnismäßig schmal ist, fahren wir ein paar hundert Meter weiter den Berg hinauf und finden einen kleinen Platz zum Wenden, wobei wir auf einem Hügelrücken die beindruckenden Ruinen einer Kirche erblicken. Also Bullis abstellen und hin da.
Wir sind die einzigen Menschen weit und breit, Kühe grasen auf der Wiese nebenan und vor uns liegen die Ruinen zweier Kirchen und ein Friedhof, welcher neben zwei- bis dreihundert Jahre alten Gräbern auch ganz aktuelle Grabstätten aus den letzten Jahren aufweist. Um den Hill of Slane ranken sich viele Mythen, so soll zum Beispiel Sankt Patrick, der irische Nationalheld, im Jahre 433 hier das erste Osterfeuer der Welt entfacht haben. Später gründete er auf dem 158 Meter hohen Hügel eine erste Kirche, die in den folgenden Jahrhunderten den Status eines Klosters erhielt. Im 12. Jahrhundert wurde das Kloster aufgegeben und verfiel zusehends, die heutigen Überreste inklusive des 19 Meter hohen gothischen Kirchturms stammen von einem franziskanischen Kollegiatstift, welches an gleicher Stelle im 15. Jahrhundert errichtet und im Jahre 1723 aufgegeben wurde.
Während wir anfangs ganz alleine die Ruinen erkunden konnten, haben nach und nach immer mehr Touristen den Weg hier hinauf gefunden. Wir waren also gerade zur rechten Zeit am rechten Ort.
Unser nächstes Ziel ist die Küste, wir lassen Google navigieren und landen promt wieder auf den kleinsten vorstellbaren Nebenstraßen. Aus dem Augenwinkel erspäht Didi eine alte Fabrikruine neben einem weiteren Friedhof mit Kirchenruine. Zeit für einen Fotohalt, auch wenn wir gerade einmal zehn Minuten unterwegs sind.
Die Menschen hier scheinen eher katholisch zu sein, denn auf dem Friedhof nebenan finden sich neben den in Irland allgegenwärtigen Kelten- oder Hochkreuzen auch beeindruckende Grabfiguren von Jesus und anderen heiligen Figuren, getreu dem Motto: „Linke Reihe anstellen, jeder nur ein Kreuz!“. Auch, wenn ich absolut kein religiöser Mensch bin, so ziehen mich Gotteshäuser und deren Umgebung aufgrund der Architektur und Kunst oftmals in ihren Bann.
Keine zwanzig Minuten später kommen wir an einem Wegweiser nach Monasterboice vorbei. Hat Didi vorher irgendwo schon einmal gelesen, also nichts wie hin da. Monasterboice, zu irisch Mainistir Bhuithe, bedeutet so viel wie Kloster von Buithe. Vom einem Kloster ist nicht mehr viel zu sehen, dafür gibt es die Überreste eines gut erhaltenen Rundturmes zu sehen. Diese generell freistehenden Rundtürme wurden immer in der Nähe von Kirchen gebaut und dienten im Falle eines Angriffes als Zufluchtsort und Lagerraum für Kirchenschätze. Aufgrund ihres nur durch eine Leiter erreichbaren Einganges ein paar Meter über dem Boden galten sie zu ihrer Hochzeit im 11. und 12. Jahrhundert als nahezu uneinnehmbar, manchmal verbrachten Menschen mehrere Wochen im inneren eines dieser Türme, bis die Belagerer vor Langeweile das Dorf geplündert hatten und weiterzogen.
Das kulturell Interessanteste an Monasterboice sind jedoch die vielen Hochkreuze, und hier insbesondere das große Kreuz (Tall Cross) oder auch Westkreuz, welches mit fast sieben Metern Höhe das größte Hochkreuz Irlands darstellt.
Weiter geht der Roadtrip Richtung Küste. Hinter Dundalk biegen wir ab nach Greenore. Hier in dem kleinen Dorf am Carlingford Lough, einem eiszeitlichen Fjord, der hier die Grenze zwischen der Republik Irland im Süden und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland bildet, gibt es seit Sommer 2018 eine kleine Fähre ins nordirische Greencastle, die als Scenic Carlingford Ferry vermarktet wird.
Wir erreichen den Fähranleger, welcher sich neben dem einzigen privat betriebenen Tiefseehafen Irlands befindet. Ausser uns ist kein einziges Fahrzeug hier am Anleger, auch einen Fahrplan oder sonstigen Hinweis auf die Fähre gibt es nicht. Wir glauben, in der Ferne eine Fähre auszumachen, der Landkarte nach allerdings in der komplett verkehrten Richtung.
Das Internet sagt, die Fähre käme alle Stunde und sei gerade weg, was erklären würde, warum wir hier mutterseelenallein stehen. Wir beschließen, die Zeit zu nutzen um uns Würstchen warmzumachen, schließlich haben wir auch noch Kartoffelsalat dabei. Kaum ist das Wasser kurz vor dem Siedepunkt, nähert sich rasch eine kleine Autofähre dem Anleger, auch sind wir inzwischen nicht mehr alleine am Anleger. Vorsichtshalber vertagen wir das Mittagessen auf die andere Seite des Carlingford Lough, die Fähre ist dann auch schneller hier, als wir gedacht hätten.
15,-€ kostet die einfache Überfahrt mit der Fähre, die etwa zwanzig Minuten dauert. Und zu unserem Erstaunen ist die Fähre tatsächlich voll geworden. Vielleicht fährt sie deshalb nicht nach Fahrplan, sondern pendelt so oft wie möglich einfach hin und her. Was allerdings an dieser Fährüberfahrt unbeding „scenic“ sein soll erschließt sich uns nicht ganz, da haben wir schon weitaus schönere Fährpassagen erlebt.
So gut, wie die Fähre hier zwischen den doch eher spärlich besiedelten Grafschaften Louth und Down frequentiert ist, mag man sich gar nicht vorstellen, welch negativen Folgen ein Brexit, also das Ausscheiden Großbritanniens und damit ebenfalls Nordirlands aus der EU, für diese Gegend haben wird. Dann würde diese Fährverbindung über eine streng bewachte, im schlimmsten Falle mit Stacheldraht und bewaffneten Soldaten „geschützte“, EU-Aussengrenze führen mit all den Kontrollen und Schikanen, die dazugehören.
Auf der anderen Seite in Greencastle angekommen sucht man einen Hinweis darauf, dass man sich jetzt offiziell in einem anderen Land befindet, vergebens. Die Grenze, die wir soeben mit der Fähre überquerten, existiert hier schlichtweg nicht. Einzig die Geschwindigkeiten für die Autofahrer werden statt in Kilometern pro Stunde wieder in Meilen angegeben und man bezahlt mit Pfund Sterling anstatt mit Euro. Aber auch darauf gibt es hier keinerlei Hinweise.
Wir suchen uns mit den Bullis ein gemütliches Plätzchen am Wasser, der Feuerwehrmann übernimmt die Rolle des Chefkochs und kocht Würstchen, der Kartoffelsalat kommt zwar aus der Packung, schmeckt aber dennoch vorzüglich. Eigentlich könnten wir auch einfach hier bleiben anstatt nach Belfast zu fahren.
Gut gestärkt geht es weiter die Küste gen Norden hinauf durch ein neues Land. Nordirland gehört zum Vereinigten Königreich von Großbritannien, gilt also genau genommen nicht zu einem neuen Land für das Didimobil, da Schottland und Wales als Teil Großbritanniens bislang auch nicht in die Zählung eingeflossen sind. Mit der Republik Irland, die wir mit der Fährfahrt über den Carlingford Lough gerade hinter und gelassen haben, hatte das Didimobil sein 24. Land erreicht; ob die Isle of Man als eigenständiges Land angesehen werden sollte, dürft Ihr gerne in den Kommentaren ausdiskutieren – und vielleicht den entscheidenden Hinweis geben, wie die IOM eingestuft werden muss. 😉
In Belfast wartet unser Eishockeyfreund schon ganz ungeduldig auf uns. Da er in drei Wochen zur Eishockey-WM nach Slovenien reisen wird, konnte er zeitlich leider erstmalig nicht an den Playoffs in Nottingham teilnehmen und freut sich daher um so sehr, uns in seiner Heimatstadt begrüßen zu dürfen. Wir lassen ihn unsere Anreise per Live-Standort mitverfolgen. Ganz in der Nähe hier ist er aufgewachsen, an der Bloody Bridge sollen wir unbedingt einen kurzen Stop einlegen.
Nach einer guten halben Stunde entlang der Irischen See erreichen wir einen kleinen Parkplatz; es hat sich inzwischen zugezogen und ist ganz schön windig geworden. Ein kleiner Fußweg führt zur erwähnten Bloody Bridge über den Bloody Bridge River, wo im Zuge der Irischen Rebellion von 1641 ein Massaker an Protestanten stattfand. Auf der Brücke wurden mehr als 50 von den Iren gefangene Protestanten auf dem Weg zu einem Gefangenenaustausch in Newcastle geköpft, als der irische Befehlshaber entweder von einem geplanten Attentat auf ihn in Newcastle oder von einer bereits stattgefundenen Hinrichtung der zum Austausch gedachten irischen Gefangenen erfuhr. Die abgetrennten Köpfe und die Körper der hingerichteten Protestanten wurden kurzerhand von der Brücke in den bis dato namenlosen Fluss geworfen, wodurch sich das Wasser blutrot färbte und Fluss und im 18. Jahrhundert erneuerte Brücke zu ihrem Namen kamen.
Der Weg zur Brücke führt durch ein sehr schmales Gatter, selbst wir haben Probleme, dort nicht steckenzubleiben. Drei sehr wohlbeleibte Briten haben es sich derweil auf den Steinen und im Wasser des Bloody Bridge River unterhalb der Bloody Bridge bequem gemacht und fallen sehr negativ durch lautes Schreien und komplettes Danebenbenehmen auf. Dabei können die drei unmöglich durch das enge Gatter gekommen sein…
Die ehemals hölzerne Bloody Bridge aus dem 17. Jahrhundert wurde im 19. Jahrhundert durch eine Steinbrücke ersetzt, und auch der Fluss wartet mit kirstallklarem Quellwasser auf und ist – zumindest heute – so gar nicht blutig.
Bei der Campingplatzbuchung im Internet haben wir angegeben, um 19 Uhr anreisen zu wollen. Halb sechs ist es bereits, Google veranschlagt für die schnellste Route nach Belfast gute eineinhalb Stunden. So kommen wir in den Genuss, einen Großteil der Strecke auf der Hauptstraße A24 zurücklegen zu können und stellen fest, dass sich unsere heimische A24 in einem wesentlich besseren Zustand befindet als die Hiesige.
Es ist kurz vor sieben, als wir am Campingplatz in Dundonald, einem Vorort Belfasts, eintreffen. Ein großer Metallzaun mit Tor versperrt uns die Einfahrt, wir benötigen einen Code, um dieses zu öffnen. Didi schaut in seine e-Mails; tatsächlich befindet sich ein Anhang mitsamt einem leeren PDF-Dokument an der Bestätigungsmail. Ansich sollte dort der Code stehen. Komisch. Zum Glück kommt gerade ein Berliner vorbei, er hatte ähnliche Probleme bei der Ankunft und lässt uns über seinen Zugangscode auf den Platz fahren.
Wenig später kommt unser Freund aus Belfast vorbei. Da wir ihm auch von innen das Tor nicht öffnen können, schicken wir ihn kurzerhand zur Eis- und Bowlinghalle (die den Platz betreibt) an der nächsten Kreuzung, um für uns das Problem mit dem Code zu klären. Kurz darauf kommt er mit Code zurück, wir verbringen einen ruhigen Abend bei Bier und Wein und verabreden uns morgen früh zu um neun Uhr. Wir wollen gerne zur Titanic-Ausstellung, wo man so früh wie möglich erscheinen sollte; für nachmittags hat uns unser Freund Karten für das Fußballspiel Linfield FC gegen Glenavon FC besorgt.