Hohe Berge und tiefe Schluchten
Sonntag, 05.08.2018
Gegen zehn Uhr wache ich auf, die Dusche ist heute sogar richtig schön warm. Der höchste Berg Bosnien-Herzegowinas, der Maglić, befindet sich nur rund 25 Kilometer südlich von Foča. 2016 legte man mir bereits nahe, mit dem Bulli dorthin zu fahren. Traumhaft schön sei der umgebende Nationalpark Sutjeska, und da das Wetter heute mit Sonnenschein und blauem Himmel aufwartet und ich theoretisch noch fünf Tage Zeit habe, bis ich wieder in Hamburg sein muss, bietet sich ein kleiner Abstecher dorthin an.
Eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt über die kurvenreiche Straße hinunter nach Popov Most, von wo aus eine Piste ohne weitere Ausschilderung scharf links hinauf in den Sutjeska Nationalpark abzweigt. Touristisch erschlossen ist diese Gegend mit einem der letzten Urwälder Europas, dem Perućica-Urwald, nicht wirklich, die Straße ist übersäht mit Schlagloch-Kratern und das dichte Gebüsch am Straßenrand holt sich langsam aber sicher die Straße zurück.
Nach rund fünf Kilometern stehe ich plötzlich vor einem Schlagbaum, daneben parkt ein Auto, aus dem sofort ein älterer Herr aussteigt. Zehn Mark, umgerechnet fünf Euro, möchte er für die Durchfahrt durch die Schranke haben. Viel mehr verstehe ich nicht, da er außer bosnisch keinerlei andere Sprachen zu sprechen scheint und ich hier in der Republik Srpska bereits mit den serbischen Buchstaben überfordert bin. Ich gebe ihm fünf Euro, bekomme einen kleinen grünen Zettel mit ein paar wenigen Informationen über den Nationalpark Sutjeska auf bosnisch sowie einer sehr groben Übersichtskarte, aus der ich ebenfalls nicht wirklich schlau werde.
Etwa eine Stunde fahre ich – nun auf einer vernünftigen Schotterpiste – hinauf Richtung Maglić, dem mit 2.386 Metern höchsten Berg des Landes. An einer Lichtung kehre ich irgendwann wieder um, die Straße scheint den Berg zwar zu umrunden, ab hier geht es allerdings wieder abwärts. Und ob es sich wirklich um besagten Maglić handelt, oder ob ich unterwegs irgendwo (nicht) hätte abbiegen sollen, entzieht sich meiner Kenntnis. Beschilderungen gibt es generell keine, und auch das Internetsignal ist hier oben noch nicht erfunden worden, sodass selbst Tante Google mir keine Hilfe ist.
Schön war es trotzdem im Urwald, auch wenn ich als Kultur- und Naturbanause jetzt keinen wirklichen Unterschied zum Sachsenwald vor meiner Haustür entdecken konnte. So mache ich mich auf den Weg zurück Richtung Brod, von wo aus ich über die landschaftlich unheimlich reizvolle M18 weiter Richtung Sarajevo fahre.
Die M18 verläuft größtenteils entlang eines kleinen Canyons; zuerst entlang des Flüsschens Bistrica, später entlang der Željeznica. Schon 2016 weckte dieser interessante Abschnitt meine Neugierde, die Bosnier selber scheinen die Schönheit und das Potenzial der Gegend eher nicht wahrzunehmen, wie mir der Besitzer des Campingplatzes heute morgen bestätigte.
Das Gebiet entlang der M-18 war im Bosnienkrieg 1992-1995 Schauplatz von brutalen, ethnischen Säuberungen und Genoziden an der muslimischen und bosnisch-kroatischen Bevölkerung durch serbische Milizen, und große Gebiete abseits der Hauptstraße sind heute noch aufgrund von Landminen nicht betretbar. Vielleicht liegt auch hierin einer der Gründe, warum diese Gegend touristisch überhaupt nicht erschlossen ist.
In dem kleinen Ort Miljevina steht die Ruine des Hotel Emos, früher auch unter dem Namen Hotel Miljevina bekannt. Das Hotel Emos zeugt von dem spärlichen Versuch, rund um die Winterolympiade 1984 in Sarajevo die hiesige Gegend touristisch zu erschließen, was aber schon zu Zeiten Jugoslaviens nicht auf fruchtbaren Boden stieß. Während des Genozids im Bosnienkrieg erlangte das Hotel unrühmsame Bekanntheit, als Serbische Milizen hier ihr Hauptquartier bezogen und von dort den Völkermord an der örtlichen Bevölkerung koordinierten.
Die M-18 verläuft weiter durch tief eingeschnittene Täler und durch mehr oder weniger gut beleuchtete Tunnel gen Norden. Kurz hinter Trnovo überquert man die innerbosnische Grenze von der Republik Srpska nach Bosnien, nur um gute fünf Kilometer später wieder zurück nach Srpska zu gelangen. Begleitet vom Željeznica-Fluss windet sich die Straße die letzten 20 Kilometer bis nach Sarajevo. Ein gewaltiger Tagebau bei Krupac beendet die landschaftlich mehr als reizvollen 60 Kilometer der M-18 seit Brod und leitet die Vororte von Sarajevo ein.
Sarajevo durchfahre ich ohne weiteren Halt, auch wenn die Ecken, durch die ich komme, schon etwas freundlicher wirken als die Tristesse, mit der mich die bosnische Hauptstadt 2016 empfing. Auch die Landstraße Richtung Travnik wirkt bei Sonnenschein gleich viel freundlicher und einladender als bei Dauerregen vor zwei Jahren. Höllisch aufpassen muss man am Stadtrand von Sarajevo, dass man nicht versehentlich auf der für Bullis horrend teuren Autobahn landet, aber auf Google ist hier tatsächlich verlass, wenn man angibt, Mautstraßen meiden zu wollen.
Unterwegs entlang der M-5 zwischen Sarajevo und Travnik begegnen einem viele unterschiedliche Gotteshäuser am Straßenrand. Von orthodoxen Kuppelbauten über schlichte christliche Kirchen hin zu Moscheen und Gotteshäusern, deren moderne Architektur keine sicheren Rückschlüsse auf die Glaubensrichtung zulassen. Eigentlich schade, dass die Menschen hier noch vor zwei Jahrzehnten Krieg gegeneinander geführt haben aufgrund des anderen Glaubens des Nachbarn. Vielleicht mag ich Albanien auch deshalb so gerne, weil dort die Religion nicht über das Ansehen eines Menschen entscheidet.
Gegen 17 Uhr erreiche ich die Ausläufer von Travnik und beschließe, erneut eine Nacht auf dem tollen kleinen Stellplatz am Motel Carousel zu verbringen. Ich bin erneut der einzige Gast, der schweizer Besitzer erinnert sich sogar an mich. Die Küche ist heute leider geschlossen, aber er könne mir eine Pizza zubereiten, falls ich Hunger hätte. Gerne willige ich ein und verspreche, um 19 Uhr zum Pizzaessen zu kommen. So lange ruhe ich mich noch ein bißchen aus und genieße die letzten Tage des Urlaubs.
Die Pizza schmeckt hervorragend, es gibt ein leckeres Sarajevsko Bier dazu. Hier kann man es aushalten, und ich werde mit Sicherheit bei einer nächsten Balkan-Tour hier wieder einkehren.
Zurück in die EU
Montag, 06.08.2018
Irgendwie schrieb ich bereits mehr als einmal, dass ich es langweilig fände, die gleiche Strecke zweimal zu fahren. Dennoch drängt mich mein Zeitlimit dazu, möglichst zielstrebig zurück gen Hamburg zu reisen. Aus politischen Gründen kommt für mich derzeit eine Fahrt durch Ungarn nicht in Betracht, und so bleibt nur die Möglichkeit, die gleiche Strecke wie vor zwei Jahren zurück zu fahren. Was heute überhaupt nicht schlimm ist, denn im Vergleich zu 2016 zeigt sich das Wetter in Bosnien-Herzegowina heute von seiner schönsten Seite.
Um neun Uhr stehe ich auf, zum Frühstück gibt es ein herrliches Omelette und einen vorletzten bosnischen Kaffee für diese Reise, und so ist es fast halb elf, als ich mich von meinem Lieblingsmotel verabschiede. Bis nach Österreich möchte ich heute kommen, ähnlich wie 2016, und für morgen Abend habe ich mich bereits mit einem Kumpel in Linz auf ein Bierchen verabredet.
Die schnellste – oder auch kürzeste – Verbindung nach Linz führt von Travnik auf jeden Fall erneut über Banja Luka, und so lasse ich mich vorerst von Google dorthin navigieren, obwohl ich ja lieber nach Landkarte bzw. Wegweisern fahre. Dies klappte letztes Mal bekanntlich eher suboptimal, da ich der serbisch-kyrillischen Schrift nicht 100%ig mächtig bin.
Zuerst möchte ich jedoch einen kleinen Abstecher durch die 57.000-Einwohner-Stadt Travnik machen, deren Altstadt sehr sehenswert sein soll. Quasi als Schnupperbesuch für ein nächstes Mal. Beim reinen Durchfahren aufgrund meiner erneuten Zeitnot komme ich leider nicht durch die Altstadt, aber das, was ich entlang der Hauptstraße sehe, wird mich bei einer nächsten Reise ganz sicher einen kurzen Zwischenstop einplanen lassen.
Von Travnik führt mich die Strecke nach Banja Luka erneut durch entlang der malerischen Ugar-Schlucht hinauf zum Motel Kanjon, wo ich die Aussicht auf die Ugar-Schlucht vom Aussichtspunkt aus genieße – dieses Mal ohne Wolken – und mir anschließend meinen letzten bosnischen Kaffee gönne.
Kurz nach der Pause erreiche ich Kneževo, hier bin ich vor zwei Jahren vom rechten Weg abgekommen und irrte durch den Nebel. Dank Google bleibt mir dieses Schicksal heute erspart und ich bleibe auf der R-414 Richtung Banja Luka – auch ohne Wegweiser. Dafür werde ich prompt von der Polizei angehalten, die sich hinter einer Kurve positioniert hat. Freundlich grüße ich mit „Dobre dan“, was ziemlich akzentfrei geklungen haben muss, da der Polizist mich daraufhin auf bosnisch volltextet und leicht ungehalten ist, dass ich seine Unterhaltung nicht erwidere. Als ich ihm dann auch noch zuerst den Fahrzeugschein aushändige, während ich nach meinem Führerschein krame, geht er verwirrt blickend um den Bulli herum, mustert das Kennzeichen, kommt lachend zurück und gibt mir den Fahrzeugschein fast schon entschuldigend zurück. Er habe nicht darauf geachtet, dass das Didimobil ein deutsches Fahrzeug sei, denn ausländische Fahrzeuge kämen hier nur äußerst selten vorbei. Ein bißchen Smalltalk muss dennoch sein; wie mir Bosnien gefalle, möchte er wissen und was ich über die Menschen hier denke. Und dass er großer Fußballfan von Bayern München sei, erzählt er mir und kommt aus dem Schwärmen gar nicht wieder heraus.
Er wünscht mir eine angenehme Weiterfahrt und entschuldigt sich erneut, dass er mich versehentlich angehalten habe, und wir verabschieden uns herzlich per Handschlag.
Die R-414 zwischen Kneževo und Banja Luka ist eine der wenigen asphaltierten Straßen in dieser strukturschwächsten und ärmsten Region Bosnien-Herzegowinas. Dennoch benötige ich für die 50 Kilometer bis in die zweitgrößte Stadt des Landes aufgrund enger Kurven und vieler Schlaglöcher eine gute Stunde auf der wenig befahrenen Straße.
Eigentlich schon seit der Hinfahrt klappt mein Seitenspiegel auf der Fahrerseite bei Geschwindigkeiten über 70km/h immer ein, doch habe ich kein passendes Werkzeug dabei, um die dafür verantwortliche Stellschraube nachziehen zu können. Entlang der zweispurigen Hauptstraße in Banja Luka finden sich zahlreiche Tankstellen und etliche Autowerkstätten, sodass ich spontan eine der Werkstätten aufsuche und um Hilfe bitte. Mit Händen und Füßen erkläre ich mein Problem. Ach, das sei ein typisches Problem bei den Bussen, bekomme ich zu verstehen. Der passende Schraubenschlüssel liegt griffbereit und innerhalb von zwei Minuten habe ich wieder einen funktionierenden und fest haltenden Aussenspiegel. Ich möchte gerne bezahlen, aber mein Geld wird mit Nachdruck abgelehnt. Freundschaftsdienst, und gute Weiterfahrt.
Es ist inzwischen halb zwei nachmittags, bis nach Österreich sind es noch rund 300 Kilometer. 50 Kilometer sind es noch bis zur bosnisch-kroatischen Grenze in Gradiška, Google schlägt 45 Minuten als Fahrzeit vor, wenn man als Option „Mautstraßen vermeiden“ angibt.
Ich verlasse Banja Luka gen Norden über die M16, auf der nach kurzer Zeit Hinweisschilder auf eine Mautpflicht auch auf deutscher Sprache erscheinen. Nach der Abzockerfahrung bezüglich des Bullis in Bosnien vor zwei Jahren verlasse ich fluchtartig die Schnellstraße und nutze die überraschend volle, parallele Nebenstraße. Da scheint tatsächlich etwas dran zu sein an der Mautstrecke, die Google das erste Mal überhaupt nicht kennt.
Auf der schnurgeraden Nebenstraße kommt man leider nicht wirklich zügig vorwärts, da sich hier ein Ort an den Nächsten reiht, und so benötige ich weit über eine Stunde für die knapp 50 Kilometer bis Gradiška.
Kurz vor Gradiška treffe ich unerwartet auf ein Stauende, nichts geht mehr auf der inzwischen dreispurigen Straße. 800 Meter sind es laut Google noch bis zur Grenze, Gradiška ist ein geteilter Ort: Der nördlich der Save gelegene Ortsteil Stara Gradiška befindet sich in Kroatien, während sich der Hauptort Gradiška südlich der Save in Bosnien-Herzegowina befindet.
Inzwischen stehe ich seit einer halben Stunde an dieser Grenze und habe mich in der Zeit gerade einmal 50 Meter weiterbewegt. Wenn das so weitergeht, werde ich noch gute fünf Stunden hier stehen, das ist mir auf gut deutsch gesagt zu blöd. Google kennt einen weiteren, kleineren Grenzübergang rund 40 Kilometer westlich von Gradiška. Zum Glück stehe ich in der linken Spur und so entscheide ich mich, das Didimobil zu wenden und die rund 40 Minuten zur Grenze bei Gradina Donja zu fahren.
Auf der Straße nach Gradina Donja herrscht wenig Verkehr und man kommt schön zügig voran. Um 15.30 erreiche ich die wesentlich kürzere Autoschlange vor dem Grenzposten. Dennoch ist auch hier die Grenzabfertigung derart lahmarschig, dass ich für die 400 Meter bis zum Kontrollhäuschen eine geschlagene Stunde benötige.
Die Abfertigung ansich verläuft wie gewohnt reibungslos. Nach dem Kontrollposten überquere ich die Brücke über die Save und befinde mich damit wieder in Kroatien und in der EU.
Rund 200 Kilometer sind es noch bis Slowenien, in Kroatien möchte ich heute ungerne übernachten, da die meisten Campingplätze hier erfahrungsgemäß reichlich überteuert sind und ich mit diesem Land einfach nicht wirklich warm werden will. Landschaftlich ist die Fahrt durch den nördlichen Teil Kroatiens wenig abwechslungsreich. Leichte bewaldete Hügel und etliche, sich irgendwie ähnelnde Dörfer entlang des Wegesrandes. Ein wenig wie auf Landstraßen durch Sachsen-Anhalt.
Langsam wird es Abend, die Sonne taucht die Landschaft in ein warmes Abendlicht und langsam steigt bereits Nebel aus den Niederungen auf. Die sanften Hügel erinnern schon stark an Slowenien, und tatsächlich ist die Grenze nicht mehr weit entfernt.
Das kroatische Grenzhäuschen ist nach weiteren zehn Minuten erreicht. Es ist unbesetzt, der Schlagbaum steht offen. Zweihundert Meter später heißt mich ein großes Schild in Slowenien willkommen.
Nach einer scharfen Linkskurve mitten im Wald kommt dann doch noch ein besetzter Grenzposten. Die Slowenen schauen, dass auch ja nichts Verbotenes aus der EU in die EU mitgenommen wird, denn obwohl Kroatien Mitglied der EU ist, sind sie nicht Mitglied des zollfreien Schengen-Raumes. Verwirrende Zwei-Klassen-EU.
Es ist 19.45 Uhr, als ich slowenischen Boden betrete. Ich schaue auf Google nach Campingplätzen. In Bad Radkersburg in Österreich soll es zwei Stück geben, beide relativ erschwinglich. 40 Kilometer sind es von hier, ich könnte es also bis zum letzten Tageslicht schaffen.
Nach einer halben Stunde ist die slowenisch-österreichische Grenze erreicht. Barrikaden auf der Straße zeugen davon, dass hier regelmäßige innereuropäische und innerschengische Kontrollen stattfinden, heute um diese Zeit ist das Grenzhäuschen zum Glück geschlossen und das Didimobil kann ohne Schikane passieren.
Zehn Minuten später erreiche ich den Campingplatz an der Parktherme in Bad Radkersburg. Die Rezeption hat bereits geschlossen, aber es hängt ein großer Zettel an der Tür mit den Nummern der freien Stellplätze und ab wann morgen jemand zum Bezahlen vor Ort ist. Ich suche mir einen der freien Stellplätze und schließe das Didimobil an den Landstrom an.
Keine zehn Minuten Fußweg vom Campingplatz befindet sich ein Buschenschank. Den Ausdruck kannte ich bisher noch nicht, anderswo in Österreich nennt sich sowas Heuriger und bezeichnet ein Lokal, welches hauptsächlich Wein ausschenkt.
Zwei, drei leckere örtliche Weine und eine deftige Brotzeit später kehre ich satt und müde zum Didimobil zurück und genehmige mir noch ein bieriges Bier aus dem Bierautomaten. Ob die Biere, die ich sonst trinke, wohl nicht bierig sind? 😉