Whisky in the Jar
Mittwoch, 18.04.2018
Die Sonne scheint, und der Doktor hat schon wieder Hummeln im Hintern. Um acht wachen wir anderen auf, und der Feuerwehrmann kocht uns einen Kaffee. Heute soll eine längere Strecke vor uns liegen. Der Ursprungsplan sieht vor, heute nachmittag in Edinburgh einzutreffen, der Eilbeker möchte sich gerne den Ort Stirling anscheuen und der Doktor hätte nichts gegen einen Abstecher zum Falkirk Wheel, während Didi auf jeden Fall zur Firth of Forth Brücke möchte. Passt super, liegt schließlich alles mehr oder weniger auf dem Weg.
Um kurz nach neun sind die Fahrzeuge gepackt und wir starten auf die knapp 300 Kilometer lange Fahrt Richtung Edinburgh. Weit kommen wir jedoch nicht, nach zwei Kilometern halten wir im Nachbarort Craigellachie an einer interessanten Brücke an, die wir gestern auf dem Weg zum Abendessen bereits gesehen hatten.
Die gusseiserne Craigellachie Bridge wurde zwischen 1812 und 1814 von dem berühmten Bauingenieur Thomas Telford gebaut und war bis 1972 in Betrieb, als eine neue Straßenbrücke nebenan gebaut wurde und somit die 90-Grad-Kurve hinter der Brücke vor einer Steilwand entschärfte. Heute gehört die Brücke mit ihren dekorativen Burgtürmchen an den Enden zur höchsten Denkmalschutz-Klasse in Großbritannien.
Weiter geht die Fahrt Richtung Dufftown, wo neben der wohl bekanntesten Glenfiddich-Destillerie noch fünf weitere Destillen ansässig sind. Weit kommen wir allerdings nicht, taucht nach der ersten Kurve doch schon die nächste Destille auf, die Craigellachie Distillery. Wir erhaschen einen Blick auf eine der Brennblasen durch ein geöffnetes Fenster; für eine weitere Besichtigung bleibt keine Zeit.
Einen knappen Kilometer führt die Straße an der einzigen Fassmacherei des Landes vorbei, der Speyside Cooperage. Wir halten an und wollen eigentlich nur die unendlichen Massen an Whiskyfässern bestaunen. Es gibt ein kleines Besucherzentrum, in zehn Minuten würde eine rund 45-minütige Führung durch die Böttcherei beginnen. Mit 4,-£ pro Person ist das ein für britische Verhältnisse durchaus günstiges Unterfangen, und so entscheiden sich alle außer dem Feuerwehrmann dafür, die Zeit zu investieren und sich anzuschauen, wie Whiskyfässer hergestellt werden.
Die Tour ist mehr als interessant. Nach einem wundervollen Film mit lustigen 4D-Effekten zur Herstellung und Aufbereitung der Fässer kann man von einer Galerie aus den Böttchern (engl.: „cooper“) bei der Arbeit zuschauen. Die Arbeiter werden hier im Akkord bezahlt, es gibt lediglich ein paar ganz wenige fest angestellte Mitarbeiter in den Werkstätten. Jeder Arbeiter ist für sein eigenes Fass verantwortlich, und am Ende des Produktionsablaufes muss es eine ganze Reihe an Qualitätstests bestehen, eher der Cooper für das fertige Fass bezahlt wird.
Die inzwischen sehr begehrte Ausbildung zum Böttcher dauert hier vier Jahre inklusive Übernahme- und Jobgarantie, allerdings muss man sich an seinem letzten Ausbildungstag in seinem allerletzten als Azubi hergestellten Fass einmal um das Firmengelände rollen lassen. 🙂
Wir bekommen die Möglichkeit, selber aus perfekt passenden, vorgefertigten Teilen ein kleines Fass zusammenzupuzzeln. Was von oben bei den Böttchern und im Film so einfach aussieht, lässt uns bereits im Miniaturformat kläglich scheitern. Nach fünf Minuten geben wir respektvoll auf, der Rekordhalter im Fassbauen schafft ein echtes, großes Fass in etwas über drei Minuten, der Rekord wurde hier in der Speyside Cooperage aufgestellt und der Mitarbeiter arbeitet auch heute noch hier. 20 Minuten dauert das Zusammenbauen eines Fasses im Regelfall.
Hinter den Produktionsgebäuden lagern hunderte, nein tausende von Fässern. Zu Pyramiden von bis zu 11.000 Fässern gestapelt können so bis zu 200.000 Fässer auf dem Gelände gelagert werden. Heute sind die Pyramiden nicht vollständig, gerade einmal die Hälfte der Kapazität wird ausgeschöpft; der Anblick ist nicht minder beeindruckend.
Ganze zwei Stunden haben wir uns an diesem faszinierenden Ort aufgehalten, für mich persönlich war die Speyside Cooperage eines der absoluten Highlights dieser Tour. Unseren Zeitplan können wir jetzt jedoch getrost vergessen, in knapp drei Stunden haben wir keine fünf Kilometer geschafft. Wir beschließen, so weit wie wir kommen bzw. Lust haben, gemütlich über die Dörfer zu fahren und die Programmpunkte notfalls auf morgen zu vertagen. Dann müssen wir halt ohne Sightseeing von Edinburgh über die Autobahn zurück nach Harwich fahren.
Ganz typisch für Whiskydestillerien sind die Pagodendächer. Alle paar Kilometer sticht ein solches in dieser Gegend aus der Landschaft hervor, in dem kleinen Film bei der Böttcherei war ein ganz besonders schönes Exemplar zu sehen. Leider haben wir nicht in Erfahrung gebracht, um welche Destille es sich handelt.
Kurz vor Dufftown, nur fünf Kilometer von Craigellachie entfernt, steht eine weitere Destillerie am Straßenrand: The Balvenie Distillery. Sie sieht sehr verlassen aus; keinen Kilometer weiter dann aber ein Hinweisschild auf eine der wohl bekanntesten Destillerien Schottlands: The Glenfiddich Distillery. Hier müssen wir einen kleinen Zwischenstop einlegen; der Doktor braucht ein weiteres Whiskyglas (auf sieben unterschiedliche Gläser wird er am Ende der Tour kommen) und eine kleine Pause nach vier Stunden Sightseeing (und acht Kilometern Fahrt…) tut auch mal ganz gut.
Die Schlossruine von Balvenie Castle lassen wir links rechts liegen, sonst kommen wir heute nie weiter. Außerdem haben wir bereits etliche alte Burgen und Schlösser gesehen, und die Speyside ist garntiert eine Gegend, in die man für ein paar Tage mehr irgendwann noch einmal fahren kann.
Fun Fact:
Irgendwo in der Nähe von Dufftown befindet sich übrigens Hogwarts, die einzige Zaubererschule im englischsprachigen Teil Europas und eine der bedeutendsten der Welt. So jedenfalls die Angabe von Joanne K. Rowling, der Autorin der bekannten Harry Potter Bücher.
Laut der englischsprachigen Wikipedia schaffte es die fiktive Schule Hogwarts in einer Umfrage im Jahre 2008 sogar auf Platz 38 der besten schottischen Bildungseinrichtungen (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Hogwarts, Stand: 11.07.2018).
Entlang der A941 bahnen wir uns den Weg nach Süden durch die Einsamkeit Ostschottlands. Die Landschaft ist eher hügelig, die schroffen, schneebedeckten Berge der Highlands sind sanfteren Hängen gewichen, die moorartige Landschaft jedoch geblieben.
Auch in dieser Gegend gibt es die für Schottland typischen Burgruinen. Hinter hohen Hecken erspähen wir durch einen Spalt die Ruine von Kildrummy Castle, kurz darauf halten wir auf dem Besucherparkplatz an. 5,-£ soll der Eintritt zu der Ruine aus dem 13. Jahrhundert kosten, von der nicht viel mehr als Teile der Grundmauern noch stehen. Wir machen uns zu Fuß auf zurück zu der Stelle, an der die Hecke eine Lücke hat, und werfen kostenlos einen Blick auf die Überreste.
Wir folgen inzwischen der A97, immer entlang des Flusses Don. Es herrscht wenig Verkehr und die Landschaft lässt sich am besten mit dem ungewöhnlichen Wort „entspannend“ bezeichnen: Abwechslungsreich und angenehm, aber nichts Besonderes.
Die A97 biegt irgendwann nach links ab, wir folgen jedoch dem Fluss entlang der A944 und später der A939 südwärts. Bei Gairnshiel Lodge überquert eine für diese Gegend typische, parabelförmige Steinbrücke den River Gairn. Leider kann man keinen Anlauf nehmen, um ein wenig Airtime zu genießen, da sich direkt an die Brücke eine 90-Grad-Kurve anschliesst. Da auch hier nur sehr wenig Verkehr herrscht, fahren wir alle mehrmals über die Brücke und machen dabei lustige Fotos.
Die Straße ist inzwischen zu einer B-Straße geworden, und zum Glück läuft Google Maps nebenbei mit, sodass wir rechtzeitig erkennen, dass die Straße eine scharfe Linkskurve macht. Direkt geradeaus schließt sich ein sehr schlechter, holpriger und löchriger Feldweg an, und den einzigen Hinweis darauf, dass die Hauptstraße einen scharfen Knick nach links macht, stellt ein „Achtung Kurve“-Schild dar, wie es hundertfach an britischen Straßen zu finden ist.
Wir treffen wieder auf eine Hauptstraße, unser Ziel liegt zur Rechten, nach links ist es eine Viertelmeile bis nach Balmoral Castle. Wir parken unsere Bullis auf dem Besucherparkplatz und gehen zu dem Schloss, welches den Mitreisenden so gar nichts sagt. Mir schwant da etwas wie „Queen“ oder „Königshaus“, und tatsächlich ist Schloss Balmoral das private Anwesen von Queen Elizabeth II., auf dem sie sich die Sommermonate über gerne aufhält.
Der Eintritt beträgt 11,50£, die empfohlene Besuchszeit beträgt 1,5 Stunden. Da wir alle nicht so königsfest sind und keine Gala oder Super-Illu lesen und aufgrund der bereits vorangeschrittenen Zeit verzichten wir auf eine Besichtigung und fahren weiter nach Süden durch den Cairngorms Nationalpark, wo wir kurze Zeit später am Braemar Castle vorbeikommen.
Bevor sie nach Balmoral Castle umzog, war das recht merkwürdig anmutende Gemäuer aus dem 17. Jahrhundert lange Zeit die Residenz von Königin Victoria, wenn sie die Highland Games in Braemar besuchte. Uns erinnert die Bauweise des 1715 während des Jakobitenaufstandes niedergebrannten und 1748 wieder aufgebauten Gemäuers eher an eine Form frühzeitigen Brutalismus. Oder reichsdeutschen Einheitsbau für Fortgeschrittene.
Der dazugehörige kleine Ort Braemar mit seinen gut 800 Einwohnern ist bekannt für die Austragung der jährlichen Highland Games, bei der neben weit über 10.000 Zuschauern im Regelfall auch Mitglieder des britischen Königshauses anwesend sind. Ausgetragen werden die Highland Games, auch Braemar Gathering genannt, immer am ersten Samstag im September, wenn die Temperaturen noch einigermaßen warm sind. Im Winter hält Braemar mit -27,2°C den britischen Kälterekord.
Zwanzig Kilometer hinter Braemar treffen wir dann auch auf Schnee, wenn auch nur auf die Reste. Auf 650 Metern Höhe gelegen durchquert die A93 das Glenshee Ski Centre, Großbritanniens größtes Wintersportzentrum; Schneefelder sind noch viele vorhanden, allerdings reicht es nicht mehr zum Skifahren. Stattdessen machen wir eine kleine Schneeballschlacht.
Inzwischen regnet es wieder, sodass wir ohne anzuhalten weiter nach Stirling fahren. Nach zwei Stunden erreichen wir den Witches Craig Caravan & Camping Park bei Stirling, wo wir nicht nur einen Platz für die Nacht bekommen, sondern die nette Platzbetreiberin uns sogar ein Taxi zu einem tollen Pub mit vorzüglichem Essen ruft. Auch dort ist es etwas teurer, dafür ist das Essen mehr als schmackhaft und auch das Steak für über 20,-£ ist medium gegrillt wie es sein soll.