Märchenschloss und Selfiesticks
Donnerstag, 19.10.2017
So ein Schwimm-, Rutsch-, Wellness- und Poolbar-Tag kann ziemlich anstrengend sein, von daher schlafen wir heute Morgen erst einmal aus und genießen die warme Herbstsonne. Über Nacht war es bitterkalt, und zu allem Überfluss ging Didi davon aus, dass das Stromguthaben aufgebraucht sei, als des Nachts der Heizlüfter seinen Dienst quittierte (Man hätte ihn ansich bloß wieder eine Stufe höher stellen brauchen…).
Um elf Uhr machen wir uns auf den Weg zum inzwischen traditionellen Weißwurstfrühstück in der Erdinger Innenstadt, und wie bei den beiden vorherigen Malen herrscht draußen herrlichstes Sonnenwetter. So macht der Start in den Tag Spaß.
Schloss Neuschwanstein soll das heutige Ziel sein. Rund zwei Stunden dauert die Fahrt über Landsberg und entlang der Lech-Ebene ins Allgäu, bei rund 20 Grad und blauem Himmel fühlt es sich an wie Sommerurlaub.
Da der Heizlüfter über Nacht unsere einzige Steckdose im Bulli blockiert hatte, haben wir heute ein kleines Mobilfunk-Kamera-Akku-Problem, weshalb Didi auf den Einsatz von Google Maps verzichtet. Wir folgen der B17 instinktiv erst Richtung Schwangau, dann weiter Richtung Füssen. Bereits viele Kilometer vor einer der beliebtesten Touristenattraktionen Deutschlands hätten wir große Wegweiser und Hinweisschilder zu den Königsschlössern erwartet, das erste Hinweisschild befindet sich hingegen erst rund zwei Kilometer von den Schlössern Neuschwanstein und Hohenschwangau entfernt am Abzweig von der B17. Gut also, wenn der Orientierugssinn noch funktioniert. 😉
Auf der kleinen Zufahrtsstraße nach Neuschwanstein sehen wir das erste Mal das „Märchenschloss“ am linken Berghang thronen. Es sieht wesentlich kleiner aus, als wir es uns immer vorgestellt haben. Verkehr ist auf der Straße wenig, man hat nicht den Eindruck, dass hier normalerweise tausende Touristen täglich entlanggekarrt werden.
Weder Junior, noch Didi haben großes Interesse an einer Schlossführung. Wir wollen uns das Schloss von außen anschauen, ein beliebtes Fotomotiv soll der Blick von der Marienbrücke darstellen. Diese überquert in rund 90 Metern Höhe die Pöllatschlucht. Vierzig Minuten soll der Aufstieg über eine „Abkürzung“ dauern, gefühlt nahezu senkrecht steigt der Forstweg nach oben hin an. Nach zwanzig Minuten sind wir oben, Junior triumphiert und Didi ist komplett ausser Atem.
Auf der schmalen Brücke dann endlich die langersehnten asiatischen Touristen: Wie Ameisen wuseln sie hin und her, ständig mit diesen lächerlichen „Selfie-Sticks“ in der Hand, mit denen man wahlweise Fotos von sich selbst, aber halt auch normal in die andere Richtung machen kann – Hauptsache, man sticht möglichst vielen anderen Touristen damit wahlweise in die Rippen oder ins Gesicht. 😉
Der Blick von der Brücke entschädigt für die „Strapazen“ des Aufstieges. Das Schloss Neuschwanstein erstrahlt in voller Pracht, dahinter geht der Blick weit hinein ins Tal und zum Forggensee. Wir bleiben eine Weile und genießen den Ausblick, bevor wir uns vorbei am Schloss auf den Weg zurück zum Didimobil machen.
Auf dem Hinweg hat der Junior ein Hinweisschild zu einer Sommerrodelbahn erspäht, und da es noch relativ früh am Abend ist, wollen wir diese Bahn noch austesten. Beim Auslösen des Parktickets (das Didimobil wird ob seiner Höhe als „Wohnmobil“ klassifiziert und zahlt satte 8,50€ statt 4,-€ für ordinäre PKW und überbreite Minderwertigkeits-SUV…) helfe ich einem Amerikaner noch aus und wechsel ihm US-Dollar in Euro, da er den Automaten nicht mit seiner Kreditkarte oder anderweitigem Plastikgeld füttern kann. Nun habe ich also sieben US-$ bei mir, wer weiß, ob und wann ich die noch gebrauchen kann…
Die Sommerrodelbahn am Fuße des Tegelberges ist vergleichsweise flach, und trotz aller Bemühungen schaffen wir es nicht, auf unseren drei Fahrten aus der Bahn zu fliegen. Somit ist sie die erste nicht spurgebundene Bahn, die ich kenne, bei der man kein einziges Mal unterwegs bremsen braucht, was dem Fahrspaß durchaus zu Gute kommt. 🙂
Wir beide sind nicht nur Fußballfans, sondern begeistern uns auch für den Eishockeysport. Im südschweizerischen Ambrì spielt am morgigen Freitag einer der ungewöhnlichsten Vereine Europas in einer der lautesten und bekanntesten Eishockeyhallen Europas, deren Tage leider gezählt sind. Gute 300 Kilometer sind es von Neuschwanstein dorthin, und so suchen wir uns einen Wohnmobilstellplatz möglichst dicht an der Schweizer Grenze. Durch das Allgäu und über den endlos steilen Riedbergpass erreichen wir bereits im Dunkeln den Wohnmobilstellplatz am Gasthof Schwabenhof in Balderschwang. Im Gasthaus gibt es noch leckere Allgäuer Spezialitäten und ein einheimisches Biergebräu (Zötler Bier), welches uns beiden jedoch so partout nicht zusagen will. Im Bulli lassen wir bei einem Captain-Cola den Abend ausklingen und wollen uns morgen recht früh auf den Weg über die Alpen machen.
Siamo sempre qua – die Berg-Ultras
Freitag, 20.10.2017
Den Wecker hatten wir uns auf neun Uhr gestellt, der Heizlüfter lief die sternenklare Nacht über durch. Auf 1.000 Metern über dem Meer wird es nachts bereits empfindlich kalt. Für 50 Cent kann man gute fünf Minuten angenehm heiß duschen, bei der Rückkehr zum Didimobil fühlt es sich draußen bereits wesentlich wärmer an. Die Sonne mag uns. 🙂
Gleich hinter Balderschwang passieren wir die Grenze zu Österreich. Vier Länder sollen wir heute auf knapp 250 Kilometern insgesamt durchfahren, Österreich ist davon jenes nichtdeutsche Land, in dem wir die wenigstens Verständigungsprobleme mit den Einheimischen haben werden. 😉
Im ersten größeren Ort in Österreich, Hittisau, wird das Didimobil für derzeit enorm günstige 1,06€ pro Liter Diesel vollgetankt. In der Schweiz bewegt sich der Dieselpreis um die 1,50€, wenn wir wieder zurück in Deutschland sind, wird der Preis dort an der 1,20€-Marke kratzen. War auch alles schon mal günstiger…
In Hittisau findet heute ein Rindermarkt statt, es ist allerhand los. Uns ist ob der Uhrzeit jedoch erst einmal nach Frühstück, und so werden beim örtlichen Bäcker teure Brötchen und im Supermarkt nebenan Belag für eben diese besorgt, bevor es weiter gen Ambrì-Piotta in der Schweiz geht.
Über Dornbirn und Feldkirch erreichen wir nach zwei Stunden die Grenze nach Liechtenstein. Ein obereifriger Grenzbeamter möchte unsere Papiere kontrollieren, inklusive Führerschein und Fahrzeugpapiere, verschwindet mit diesen kurz in seinem Büro, bevor er sie uns wieder aushändigt. Was genau er nun wollte, wissen wir leider nicht, bedient er sich doch einer Sprache, die für uns beide recht unverständlich daherkommt. Sprechen eigentlich alle 37.000 Einwohner des kleinen Fürstentums so unverständlich?
Das Fürstentum Liechtenstein bildet das 21. Land, welches das Didimobil mit seinem derzeitigen Besitzer seit Sommer 2014 bereist; in der Schweiz waren wir bereits auf der zweiten großen Tour im Sommer 2015. 160 Kilometer sind es noch bis nach Ambri, in gut sieben Stunden beginnt das Eishockeyspiel. Sollen wir uns in Liechtenstein ein wenig umschauen? Was kann man hier sehen? In der Hauptstadt Vaduz gibt es ein Schloss, so richtig begeistern können wir uns nach Neuschwanstein am gestrigen Tage nicht dafür. Die Hauptstraße führt am Fuße des Schlosses vorbei – sieht nett aus, aber wir bezweifeln, ob sich ein Abstecher tatsächlich gelohnt hätte.
Derweil kämpfen wir noch immer mit der Liechtensteinischen Sprache. Vermutlich soll man das Auto mal wieder aufräumen, aber woher wissen die, wie chaotisch es gerade im Didimobil aussieht? 😉
Kurz vor der Grenze zur Schweiz passieren wir den Liechtensteinischen Ort Balzers. Hier thront die mittelalterliche Burg Gutenberg über der Pfarrkirche St. Nikolaus. Da wir mit dem Didimobil wie gewohnt kostenpflichtige Autobahnen meiden, haben wir noch einen langen Weg über die Alpen vor uns und wissen nicht genau, wie lange wir mit dem Didimobil über den Gotthard brauchen werden. Also reicht uns ein Touristenfoto der Burg – vermutlich haben uns die Japonesen gestern angesteckt. 😉
Gleich hinter Balzers verlassen wir das Fürstentum wieder und entern eidgenössisches Hoheitsgebiet. Liechtenstein unterhält eine Zoll- und Währungsunion mit der Schweiz, sodass es zwischen diesen beiden Ländern keinerlei Grenzkontrollen gibt. Lediglich an den weitaus besseren Straßen merkt man als Autofahrer, dass man sich nun in der Schweiz und nicht mehr in Liechtenstein befindet.
Die Straße führt uns sogleich hinein in ein Kampfgebiet des Schweizer Militärs: Entlang der Straße üben die Landesschergen irgendwas zwischen Verstecken und Erschießen. Haben die das hier wirklich nötig? Immerhin scheinen sie kein Problem mit der „Öffentlichkeit“ zu haben, denn die Straße führt kurz darauf mitten durch ein tatsächlich militärisch genutztes „Fort“, die Festung St.Luzisteig, Panorama-Restaurant inklusive. Einkehren würden wir dort aufgrund der militärischen Nutzung hingegen nicht wollen.
Über Maienfeld und Landquart erreichen wir Chur, wo wir uns bei einer amerikanischen Fastfood-Kette ein paar Nuggets für den leeren Magen gönnen, bevor es hinauf auf die Berge geht. Für mehr reicht unser Budget hier nicht.
Nach Chur geht es über die Bundesstraße 19 immer entlang des noch sehr jungen Rheins, welcher im Gotthardmassiv seinen Ursprung hat. Sanft steigt die Straße Kilometer für Kilometer an, das Didimobil kommt noch überraschend zügig voran.
Inzwischen hat das Didimobil eine weitere, unsichtbare Grenze überquert: Aus dem „deutschen“ Sprachraum sind wir nun im räthoromanischen Teil der Schweiz angelangt. Bemerkbar macht es sich mangels Kommunikation mit Einheimischen am ehesten auf Straßenschildern und Wegweisern, wie zum Beispiel zum Bahnhof: „Staziun“ steht dort angeschrieben, auf italienisch wäre es „Stazione„, auf französisch „gare“ und auf deutsch eben „Bahnhof“ oder „Station„.
Langsam beginnt die Straße steiler anzusteigen, und bald sind die ersten Serpentinen in Sichtweite. Wir verlassen den inzwischen nur noch bachgroßen Rhein und erklimmen den Oberalppass. Von hier sind es gut 1,5 Stunden Fußweg bis zum Lai da Tuma, dem Tumasee, der offiziell die Quelle des Rheins bildet. Ein Ziel, welches wir aufgrund der vorangeschrittenen Zeit auf unsere „To do“-Liste setzen.
An der Passhöhe staunen wir nicht schlecht, steht dort doch ein Leuchtturm und „markiert“ mehr oder weniger die Rheinquelle. Ein netter Werbegag, in naher Zukunft soll wohl auch noch ein Rheinschiff hier oben vertäut werden.
Schon seit einiger Zeit wird die Passstraße von einer Zahnradbahn, der Matterhorn-Gotthard-Bahn, begleitet. Hier verkehrt einmal am Tag der wohl berühmteste und gleichzeitig langsamste Schnellzug der Welt: Der Glacier-Express.
Straße und Bahnlinie winden sich von hier in mehreren Serpentinen steil hinab ins rund 600 Meter niedriger gelegene Andermatt, dem Tor zum Gotthard. Unterwegs bieten sich tolle Ausblicke auf den kleinen Ort im Tal.
Kurz hinter Andermatt zweigt bei Hospental die Gotthard-Passstraße ab. Vergleichsweise geradlinig und mit einer für das Didimobil noch angenehmen Steigung erklimmt die Straße den 2.106 Meter hohen Gotthardpass. Trotz Mitte Oktober liegt hier wider Erwarten (noch) kein Schnee, auch wenn sich die Temperatur bereits gefühlt im unteren Einerbereich bewegt.
Wir liegen gut in der Zeit, unser Ziel Ambrì liegt am südlichen Fuße des Gotthards und wir haben noch drei Stunden Zeit bis zum Spiel.
Der Gotthardpass ist eine der ältesten Alpenüberquerungen und wird nachweislich seit dem 13. Jahrhundert als Alpentransversale genutzt. Im Jahre 1830 wurde die erste durchgängig mit Kutschen befahrbare Straße errichtet, bis 1941 wurde die Straße gepflastert und bis 1977 eine neue, leistungsfähigere Passstraße neben der Alten gebaut. Seit 1980 rollt der meiste Verkehr jedoch durch den Gotthard-Autobahntunnel, jahrelang mit knapp 17 Kilometern der längste Straßentunnel der Welt. Da die Autobahnen in der Schweiz rund 40,-€ an Maut kosten, schauen wir uns lieber die hochalpine Gebirgslandschaft an.
Aufgrund des guten Zeitfensters entscheiden wir uns für den Abstieg über die alte Gotthardstraße, die Tremola aus dem Jahre 1941. In unzähligen engen Haarnadelkurven windet sich die noch immer mit Granitsteinen gepflasterte Straße ins Tessin hinab. Kaum ein anderes Fahrzeug verirrt sich hierher, lässt sich die neue, fast ausschließlich in einer Galerie und im Tunnel verlaufende „neue“ Gotthardstraße bequemer und schneller fahren.
Wir genießen die Abfahrt, mehrmals kehren wir um, machen Fotos mit und ohne Didmobil und genießen dieses Meisterwerk an Passstraße. In den Alpen zählt die Tremola sicherlich zu den beeindruckendsten und schönsten Passstraßen, wir würden eine Fahrt auf ihr der neuen Passstraße jederzeit wieder vorziehen.
Schon bald fällt der Blick auf Airolo, den Südausgang der Gotthard-Tunnel (Bahn und Autobahn). Im Hintergrund fällt der Blick bereits tief hinein in die Leventina, und am Ende des Tales ist bereits unser Ziel, Ambrì, zu erkennen.
In der äußerst strukturschwachen Region der Leventina sind Campingplätze Mangelware, Wohnmobilparkplätze sind zwar vorhanden, verfügen aber über keinen Strom. Hier auf gut 1.000 Metern Höhe fallen die Temperaturen um diese Jahreszeit durchaus in den unteren einstelligen Bereich. Wir beschließen daher, eine Nacht außerhalb des Didimobils im örtlichen Motel zu verbringen. Eine Stunde haben wir Zeit, unsere Mobilfunk- und Kameraakkus aufzuladen und uns vor dem Spiel ein wenig auszuruhen.
Der 300-Einwohner-Doppelort Ambrì-Piotta ist eine Art Mekka für Eishockey-Fans. Mehrere tausend treue Fans pilgern jedes Heimspiel teilweise weit über 100 Kilometer in die Leventina, um ihren Verein anzufeuern, welcher in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag begeht. Noch nie konnte der HCAP die Schweizerische Meisterschaft gewinnen und gilt als ewiger Underdog. Die betagte, an zwei Seiten offene Halle „Pista La Valascia“ wird innerhalb der nächsten zwei Jahre einem modernen Neubau weichen müssen und wird dann abgerissen, da sie sich in einem potenziellen Lawinengebiet befindet.
Wir genießen das Spiel, welches in der Overtime mit 2:1 für den HC Ambrì-Piotta gegen den HC Fribourg-Gottéron entschieden wird.