Balkan-Roadtrip 2016 – Teil 15 (AL) Neue Freunde in Tirana

Neue Freunde in der Hauptstadt

Mittwoch, 17.08.2016

Heute steht eine Stadtbesichtigung auf dem Programm. Eigentlich bei Reisen mit dem Didimobil etwas, um das ich mich bewusst drücke, denn einerseits passt das Didimobil in kein einziges Parkhaus hinein und andererseits gibt es selten Camping- oder Stellplätze in akzeptabler Nähe einer Großstadt mit guter ÖPNV-Anbindung.

Pyramide, Tirana, Albanien

Tirana

Der Campingplatz in Tirana liegt etwa neun Kilometer südlich der Hauptstadt und einen Kilometer abseits der nächsten geteerten Straße. Die Campingplatzbetreiberin hatte gestern jedoch mit dem Fahrer des Linien-Kleinbusses (Furgon genannt) telefoniert, er würde mich um zehn Uhr direkt vom Campingplatz abholen. Ich bin gespannt, denn offiziell liegt der Campingplatz gar nicht auf seiner Route.

Fast pünktlich um drei Minuten nach zehn ist am Horizont eine Staubwolke zu erkennen, zwei Minuten später rumpelt ein betagter, orangefarbener Mercedes 307D auf den Hof. Zeit für ein kleines Pläuschchen zwischen dem Fahrer und der Campingplatzbetreiberin, ich suche mir derweil einen Platz auf einem der wenigen original ausschauenden Sitzplätze. Wenig später rumpelt der Bus los, zurück über die Schotterpiste bis zur Straße und dann rechts. Die fünf Fahrgäste an Bord nehmen den Umweg mit Gelassenheit hin.

Während der Fahrt wird permanent mit dem Fahrer gesprochen, Haltestellen scheint es nicht zu geben. Befindet sich irgendeine Person auf der Straße, wird kurz angehalten. Steigt die Person ein, geht es gleich weiter, ansonsten ist immer Zeit, um zwei, drei Sätze zu wechseln. Ein Fahrgast setzt sich zu mir und fragt auf deutsch, ob ich aus Deutschland käme. Der Fahrer habe ihm das erzählt, aber er wollte das nicht wirklich glauben. Er lebe seit ein paar Jahren in Frankfurt und sei derzeit auf Heimatbesuch bei der Familie. Ob er mich auf einen Kaffee einladen dürfe, fragt er. In Albanien ist es üblich, in den Furgons den Fahrpreis beim Aussteigen zu bezahlen. Wir stiegen eine Station vor dem Einkaufszentrum aus, bezahlen darf ich die Busfahrt nicht.

Das Café gehört Luan, einem Freund des Frankfurters. Ich werde sogleich herzlich begrüßt, auch Luan lebte ein knappes Jahr mit seiner Familie in Deutschland. Die Verständigung auf Englisch ist dennoch einfacher. Zehn Minuten später kommt der orangene Kleinbus angerumpelt. Der Fahrer lässt die nächste Tour einfach ausfallen, mit dem deutschen Gast zusammen Kaffee trinken ist wichtiger. Der Kaffee geht aufs Haus, am Abend verabreden sich alle auf Bier, und ich muss versprechen, ebenfalls dazuzukommen. 20 Uhr, keine Widerrede!

Ich gehe zu Fuß zum Einkaufszentrum, welches nur 300 Meter entfernt liegt. In einer auch in Deutschland bekannten Elektronikmarkt-Kette bekomme ich eine neue Speicherkarte für mein Smartphone, meine Derzeitige ist bereits voll mit zu vielen Fotos und die Reise noch nicht einmal zur Hälfte rum. Umgerechnet neun Euro für eine 32GB Speicherkarte, normale deutsche Preise.

Der nicht mehr ganz taufrische Linienbus steht schon bereit, an der Haltestelle hängt ein Fahrplan, den ich mir in weiser Voraussicht abfotographiere. Alle 40 Minuten pendelt der Bus zwischen dem Stadtzentrum und dem City Park Einkaufszentrum hin und her, Fahrzeit 30 Minuten. Zügig geht es über die Autobahn Richtung Tirana. Am Ende der Autobahn wartet dann das Verkehrschaos: Drei Spuren pro Richtung, fünf Fahrzeuge nebeneinander, kompletter Verkehrskollaps. Weise Entscheidung, nicht mit dem Didimobil gefahren zu sein, hier würde ich niemals ohne Kratzer oder Beule wieder herauskommen.

Blick vom Skanderbeg-Platz auf das Nationalmuseum, Tirana, Albanien

Blick vom Skanderbeg-Platz auf das Nationalmuseum

0,21€ hat die Busfahrt gekostet, der Bus hält direkt im Zentrum der Stadt am Skanderbeg-Platz. Skanderbeg ist der albanische Nationalheld, ihm zu Ehren befindet sich eine monumentale Reiterstatue in dem neu gestalteten großen Kreisverkehr. Das Nationalmuseum, die Oper, der historische Uhrenturm, die bekannte Et’hem Beu Moschee und das Energieministerium befinden sich rings um den zentralen Platz.

Skanderbeg-Platz mit der Oper, Tirana, Albanien

Skanderbeg-Platz mit der Oper.

Skanderbeg-Statue. Im Hintergrund der Uhrenturm und die Et'hem Beu Moschee, Tirana, Albanien

Skanderbeg-Statue. Im Hintergrund der Uhrenturm und die Et’hem Beu Moschee

Uhrenturm und Et'hem Beu Moschee, Tirana, Albanien

Uhrenturm und Et’hem Beu Moschee

Nach Süden schließt sich ein großer Boulevard an, der Bulevardi Dëshmorët e Kombit (zu deutsch: Boulevard der Märtyrer der Nation), an dem weitere wichtige Gebäude liegen: Die Nationale Kunstgalerie, das ehemalige Luxushotel Dajti, der Rinia-Park, die Twin-Towers, die Pyramide (ehemals Enver-Hoxha-Museum), das Kongresszentrum und der Präsidentenpalast. Am Ende des Boulevards befinden sich die Universität und das 2016 abgerissene und im Neubau befindliche Qemal Stafa Fußballstadion.

Bulevardi Dëshmorët e Kombit, Tirana, Albanien

Bulevardi Dëshmorët e Kombit mit Ampeln, deren Masten in Ampelfarbe leuchten.

Ähnlich wie bereits Shkodër und viele andere Orte in Albanien besticht Tirana durch Sauberkeit, sehr viele gepflegte Grünanlagen und Straßenbäume mit Alleecharakter. Die größtenteils noch aus kommunistischer Zeit stammenden, das Stadtbild prägenden Plattenbauten haben durch fröhliche Farbanstriche und Renovierungsmaßnahmen viel von ihrer Tristesse verloren.

Rinia-Park, Tirana

Café/Restaurant und Springbrunnen im Rinia-Park

Regierungsgebäude mit den beiden Hochhäusern der "Twin Towers", Tirana

Regierungsgebäude mit den beiden Hochhäusern der „Twin Towers“

Park, Tirana

Kleinere Parkanlage mit Spielplatz

Die Pyramide ist ein Erbe des Diktators Enver Hoxha, der den einer Pyramide ähnelnden Monumentalbau 1988 errichten ließ. Ursprünglich beherbergte die Pyramide ein Museum, in dem alles rund um den unbeliebten Diktator ausgestellt war, später wurde es als Kulturzentrum, Bar und Discothek umgenutzt und steht seit 2010 leer. Mehrmals wurde von politischer Seite versucht, das Gebäude abreissen zu lassen und an dessen Stelle ein neues Parlamentsgebäude zu errichten. Massiver Widerstand aus der Bevölkerung hat einen Abriss bislang verhindern können, und unter der aktuellen Regierung gibt es sogar Bemühungen, eine Umnutzung unter Beibehaltung des Gebäudes herbeizuführen.

Beliebter "Kletterberg": Die Pyramide, Tirana, Albanien

Beliebter „Kletterberg“: Die Pyramide

Generell verfügt die Hauptstadt mit ihren knapp 500.000 Einwohnern über eine recht hohe Aufenthaltsqualität. Auf Empfehlung eines Bekannten, der zwei Monate zuvor Tirana besuchte, kehre ich zum Mittagessen in einer Pizzeria in der Nähe des Rinia-Parkes ein. Eine sehr große, verdammt leckere Hawaii-Pizza, dazu eine kühle Cola für 7,-€. Die Hauptstadt ist halt etwas teurer… 😉

Gelbe Taxis in Tirana, Albanien

Weltstadtflair in Albaniens Hauptstadt

Der kleine Fluss Lana fließt kanalisiert einmal quer durch die Stadt. Die Wasserqualität soll sich in den letzten Jahren zwar massiv verbessert haben, im Vergleich zu den Gebirgsflüssen in den Alpen sieht sie dennoch mehr als dreckig aus. Leitungswasser sollte man in Tirana und Umgebung ebenfalls unter keinen Umständen trinken, selbst beim Zähneputzen wird davon abgeraten, das Wasser aus der Leitung zu nutzen. In den Bergregionen hingegen ist das Wasser bedenkenlos genießbar.

Lana Fluss Tirana

Die kanalisierte Lana

Im ehemaligen Bonzenviertel Ish-Blloku erinnert Vieles an Berlin, Hamburg oder Italien. Kleine Läden und Cafés säumen die engen, mit altem Baumbestand umgebenen Alleestraßen. Der Schatten der Bäume ist angenehm, 34°C zeigt das Thermometer hier. Abends ist es das Ausgehviertel der Stadt, mit angesagten Clubs und Bars. Ich überlege, zu bleiben, allerdings habe ich da noch eine Verabredung in den Vororten.

Allee im Ish-Blloku, Ausgehviertel in Tirana, Albanien

Alleestraßen im Ish-Blloku

Bunte Häuser in Tirana, Albanien

Farbenfrohe Plattenbauten

Inzwischen ist es 16 Uhr, ich schlendere langsam zurück zum Skanderbeg-Platz. Die Hitze schafft mich, ich habe das Gefühl, das Meiste der überschaubaren Stadt gesehen zu haben. Ich finde sie entspannt, und obwohl Tirana keine großartigen Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, würde ich der Hauptstadt immer wieder einen Tagesbesuch abstatten.

Chaotische Stromleitungen in Tirana

Elektrikers Alptraum. 😉

Obst und Gemüse Tirana Albanien

Immer frisch vom Feld: Melonen für 21 Cent.

Der Skanderbeg-Platz verfügt über rund ein Dutzend Bushaltestellen, leider komplett ohne Fahrpläne oder Hinweisen, welche Linie wo hält. Ich frage einen jungen Mann auf der gegenüberliegenden Seite von dort, wo der Bus angekommen ist. Nein, der blaue Bus zum City Park halte hier nicht. Eine Frau mischt sich ein. Doch, doch, der blaue Bus halte hier, ganz sicher. Sie fahre zwar immer mit dem Grünen, aber… . Immer mehr Menschen mischen sich in das Gespräch ein, unglaublich hilfsbereit sind die Albaner. Einzig das Problem der richtigen Haltestelle kann nicht gelöst werden: „Es ist die Haltestelle auf der linken Seite des Platzes.“ – „Nein, der Bus zum City Park hält hinter der Moschee.“ – „Quatsch, der muss da drüben halten, vor der Oper.“

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommt der Bus vom Einkaufszentrum. Unter Einsatz meines Lebens versuche ich, die vier- bis sechsspurige, gefühlt zehnspurige Straße (so genau weiß man das hier immer nicht) im Berufsverkehr zu überqueren, bevor der Bus wieder losfährt. Ich schaffe es nicht ganz, dennoch hält der Fahrer noch einmal mitten auf der Straße an und deutet mir, einzusteigen. Es ist der Selbe wie auf dem Hinweg. Wir fahren zu der Haltestelle hinter der Oper, hier beginnt die Tour offiziell. Später höre ich von den beiden Erfurtern, dass sie mehrmals quer durch die Stadt gejagt wurden, um den richtigen Abfahrtsort für einen Fernbus zu finden.

Am City Park angekommen steht schon der orangene Furgon (oder ist es „das“ Furgon?) bereit, der Fahrer erkennt mich bereits auf weite Entfernung und winkt mir fröhlich zu. Ich war noch einkaufen, Küchenrolle, Duschgel, frisches Obst. Der Furgon ist voll, meine Tüten werden mir abgenommen und auf dem Armaturenbrett vor dem Lenkrad verstaut. Ich gehe nach hinten durch, Sitzplätze sind aus. Mit etwa 25 Mitreisenden im 12-Sitzer und einer Stehhöhe von etwa 1,50m auf holprigen Pisten mit Volldampf dem Verderben entgegen.

Unterwegs leert sich der Bus, kurz vor der Abzweigung zum Campingplatz bekomme ich sogar einen Sitzplatz und versuche, mein Genick wieder in eine einigermaßen gerade Position zu rücken. Der Fahrer spricht ausschließlich albanisch, deutet mir aber an, wie selbstverständlich zum Campingplatz zu fahren. Mein Geld möchte er nicht, ich widerspreche wehement und siege am Ende. Ich darf die 200 bezahlen. Der Fahrer zeigt mit seinen Händen die Zahl Acht und deutet mit den Fingern hierher zum Campingplatz. „Birra“, verstehe ich. Und „Kafe“. Ich deute es vorsichtig zu „Acht Uhr – hier – Bier“. Per Handschlag verabschieden wir uns und der Bus rumpelt von dannen.

Ich lege mich ein wenig hin und halte „Mittagsschlaf“, am Abend kommt die Campingplatzbesitzerin mit ihrem Mann vorbei, er ist Fremdenführer in Tirana. Beide sind sichtlich erfreut, dass mir die Stadt gut gefallen hat. Inzwischen ist es kurz nach acht, wenn ich Lust hätte, könne ich auf ein Glas Wein zu ihnen ins Haus kommen. Ich erzähle von meiner Verabredung in der Bar, und dass mich der Busfahrer um acht abholen wolle. Das könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie. Ein Rumpeln ist zu vernehmen, ein Wohnmobil kommt auf den Hof und wird herzlich von den beiden Platzbetreibern begrüßt. Zehn Minuten später erklingt erneut ein Motor, der orangefarbene Kleinbus kommt tatsächlich auf den Hof gerumpelt. Es gibt ein längeres Schwätzchen mit den Campingplatzbetreibern und dem Busfahrer, dann holpern wir los. Erst zu ihm nach Hause, wir müssen seinen Sohn abholen. Wir hatten heute Vormittag schon einmal telefoniert, und jetzt möchte er den Deutschen auch mal persönlich kennen lernen. Danach geht es ab zum Frisör, dort wartet bereits der Frankfurter auf uns. Gemeinsam fahren wir zu Luans Bar. Sein elfjähriger Sohn spricht sogar ein wenig deutsch, war während des knappen Jahres in Deutschland sogar zur Schule gegangen.

Gegen Mitternacht löst sich die illustre Runde auf, ich möchte mir ein  Taxi rufen. Kommt gar nicht in Frage, heißt es, und so rumpeln der Frankfurter, der Busfahrer, sein Sohn und ich mit dem Kleinbus zum Campingplatz. Luan muss ich versprechen, morgen vor der Abreise noch auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Gerne doch.

Am Campingplatz angekommen biete ich den beiden Männern noch ein kühles Astra an, was beiden sehr mundet, und Junior bekommt eine kalte Cola. Eine gute Stunde sitzen wir noch vor dem Didimobil zusammen, bis wir uns herzlich verabschieden. Ich verspreche dem Sohn, ihn morgen früh um halb zehn abzuholen. Er möchte so gerne mit zum Kaffeetrinken. Irgendwann, so sind wir uns einig, wollen wir alle gemeinsam den Abend im Café wiederholen.

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