The Lonesome Rider
Dienstag, 16.08.2016
Hier oben in den Bergen spürt man die Kraft der Sonne mehr als deutlich. Liegen die Temperaturen nachts bei sternenklarem Himmel im unteren Zehnerbereich, so steigt das Thermometer mit den ersten Sonnenstrahlen rasch auf Wohlfühltemperatur im mittleren Zwanzigerbereich. Schläft man im Didimobil im oberen Bett, dann ist es dort zwar angenehm dunkel, dafür wird man morgens förmlich aus dem Bett gekocht.
Frisch geduscht gibt es noch Kaffee und ein leckeres Omelette (diesmal gewohnt aus Rührei zubereitet) auf der Veranda, bevor das Didimobil zur Weiterreise vorbereitet wird. Das Ziel steht noch nicht wirklich fest. Weiter gen Süden, in Rreshën soll es einen tollen Campingplatz geben.
Albanien ist landläufig auch als das Land der Bunker bekannt. Weit über eine Viertelmillion dieser kleinen Zwei-Mann-Abwehranlagen soll es in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts gegeben haben, Zehntausende noch immer von der dunklen Zeit zeugen und unübersehbar das ganze Land prägen. Bewusst hatte ich bislang noch keinen einzigen vernommen, meinen bisherigen Mitreisenden ging es ähnlich. Hier in Valbonë vor dem phantastischen Bergpanorama treffe ich bei der Rückfahrt auf den Ersten. Erstaunlich wenige sollen in den nächsten Tagen folgen.
Ganz langsam rolle ich die einwandfreie und fast verkehrslose Bergstraße hinunter, immer entlang des Valbona-Flusses. Ich könnte hier stundenlang einfach rauf und wieder runter fahren ob der grandiosen Landschaft.
Zwei Dinge faszinieren mich seit meiner Ankunft in Albanien: Die fast schon unwirkliche Türkisfärbung der kristallklaren Gebirgsflüsse und die mehr als maroden Brücken in diesem Land, die eben jene Flüsse überspannen. Nur noch durch Rost und einzelne, verrottete Holzplanken werden Hängebrücken zusammengehalten, die teilweise die einzige Zuwegung zu einer kleineren Siedlung darstellen. Straßenbrücken sind oft als Gitterbrücken ausgeführt, deren Rostanteil denen der Hängebrücken in nichts nachsteht und deren Holzbeplankungen stellenweise tolle Blicke in die Tiefe ermöglichen.
Immer wieder halte ich an und genieße die Bilderbuchlandschaft.
Im etwa 30 Kilometer entfernten Bajram Curr wird das Didimobil das erste Mal in Albanien betankt. Die antiquiert wirkende Zapfsäule weist Beschriftungen in Deutsch auf, der Liter-Preis wird in DM angegeben. Wie fast überall auf dem Balkan gibt es noch den guten alten Tankwart, der einem den Tankvorgang abnimmt. Diesel gibt es in zwei Qualitätsstufen: Euro 5 und Euro 6. Fünf ist günstiger, das Didimobil ein älteres Fahrzeug. Es verträgt den „Billigsprit“ hervorragend. Preislich ist Albanien beim Benzin überraschend teuer; 1,15€ kostet der Liter Diesel, in Deutschland sind es zur Zeit rund 1,03€, in Österreich nur 0,98€ und in Bosnien sogar nur 0,78€. Dafür bietet Albanien zu meiner vollsten Überraschung das bislang dichteste Tankstellennetz, was ich bislang irgendwo auf der Welt gesehen habe.
Weiter geht die Fahrt zurück nach Fierzë, von wo es anstatt zum Fähranleger auf die nördliche Seite des Koman-Sees geht. Wegweiser künden vom Kosovo, die Grenze ist nicht weit. Ich wähle den „direkten“ Weg in Richtung Süden, vorbei am Fierza-Staudamm, dem mit 152 Metern Höhe größten Staudamm Albaniens. Dieser staut den Drin als eine von drei Staustufen zum Fierzë-See. Der in den 1970er Jahren angestaute See hat eine Tiefe von bis zu 128 Metern und ist mit 72,6 Quadratkilometern der größte Stausee Albaniens, das Kraftwerk in der Staumauer erzeugt rund ein Drittel des jährlichen Strombedarfes des Landes.
Die Straße Richtung Fushë-Arrëz windet sich am Staudamm in mehreren Serpentinen steil in die Höhe. Ähnlich wie in Montenegro verläuft die Straße kurvenreich mehrere Hundert Meter oberhalb des Stausees, die einzelnen kleinen Dörfer unterhalb der Hauptstraße sind über schmale Schotterstraßen von dieser aus erreichbar.
Der Zustand der Straße ist durchaus verbesserungswürdig, das Verkehrsaufkommen dafür minimal. Auf den nächsten 50 Kilometern, für die man knapp zwei Stunden Fahrzeit benötigt, werden mir insgesamt vier Fahrzeuge begegnen. Die Straße ist sehr kurvenreich, die Landschaft wird im Vergleich zu den Hochgebirgen merklich karger, die Temperaturen wärmer.
Häuser sieht man nur noch vereinzelt. Die Region macht einen sehr strukturschwachen Eindruck, die meisten Bewohner hier „in the middle of nowhere“ dürften Selbstversorger sein. Am Straßenrand steht ein Junge, er möchte mir frischen Tee aus dem eigenen Garten verkaufen. Einen Euro hätte er gerne. Ich tue ihm den Gefallen, kaufe ihm den nach vertrocknetem Blumenstrauß aussehenden Tee ab. Er ist sichtlich erfreut. Oft wird es nicht passieren, dass hier Touristen vorbeikommen. Obwohl: Eines der vier Fahrzeuge, welche mir begegnen, ist ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen.
Nach 50 Kilometern erreiche ich eine Straßenkreuzung. Ein verrosteter Wegweiser weist Tirana nach rechts, ein nagelneuer Hochglanzwegweiser hingegen nach links. Zur Autobahn, welche erst vor wenigen Jahren 2009 fertiggestellt wurde.
Bis Rrëshen sind es noch etwa 80 Kilometer, die Uhr zeigt halb zwei. Noch genügend Zeit, meinem Reisemotto „Keine Autobahn“ treu zu bleiben. So nehme ich die alte Landstraße nach rechts. Der Verkehr ist nach wie vor spärlich, nach gut zehn Kilometern ist die Kleinstadt Fushë-Arrëz erreicht.
Die ehemalige Bergarbeiterstadt Fushë-Arrëz liegt in einer der ärmsten und strukturschwachsten Gegenden Albaniens. Das örtliche Kupferbergwerg, einziger Arbeitgeber in der Region, stellte 1997 den Betrieb ein. Seit dem Bau der Autobahn A1 ist der Ort komplett vom Durchgangsverkehr abgeschnitten.
Ein Ausbau der lebenswichtigen SH-5, der Hauptverbindung von Fushë-Arrëz nach Shkoder, Kukës, Tirana oder in den Kosovo, ist nach dem Bau der Autobahn eher unwahrscheinlich, die Standortfaktoren in dieser abgeschiedenen Region eher schlecht. Dennoch: Trotz der vorherrschenden Armut und der großen Perspektivlosigkeit in der 2.500-Einwohner-Stadt ist es auch hier unerwartet sauber auf den Straßen.
Kurz hinter Fushë-Arrëz zweigt die SH-30 Richtung Süden ab, die SH-5 verläuft weiter Richtung Vau-Deja und Shkodër, aber dort war ich ja bereits. Interessant ist, dass vor einigen Straßenkreuzungen statt Wegweisern große Albanien-Straßenkarten aufgestellt sind – leider ohne Markierung, wo man sich derzeit befindet.
Die SH-30 heißt mich mit einer Entfernungstafel willkommen. „Rubik 63, Milot 81“. Keine Ahnung, wo das ist. „Tirane 131“. Das weiß ich, wo das ist, die Richtung stimmt. Der Straßenbelag bröckelt, Schlaglöcher säumen den Weg und machen ein Vorwärtskommen mit mehr als 25km/h kaum möglich. Drei Stunden bis Rubik, rechne ich mir aus, ohne zu wissen, wo das liegt. Ich hätte die Landkarte an der Kreuzung besser studieren sollen, das Mobilfunksignal ist mehr als dürftig und mobiles Internet in dieser Gegend nicht verfügbar.
Ich werde von einem „Kastrati“-Tankwagen überholt, er hupt freudig und winkt mir fröhlich zu. Generell ist Hupen in diesem Land keine Warnung oder Gepöbel, sondern ausnahmslos ein Gruß oder ein Dank. Oder ein Hinweis, dass man nach einer Bodenwelle unsanft mit dem Kopf auf das eigene Lenkrad aufgeschlagen ist.
Die Landschaft hingegen ist auch hier eine Augenweide. Der kleine Fluss Fani i Madh schlängelt sich entlang der desaströsen Landstraße. Ab und an sieht man Leute im Fluss angeln, Jugendliche nutzen den Fluss als Abkühlung von den sicherlich 30° im Schatten.
Zwischen Gojan und Gjegjan befindet sich ein kleiner, schmaler Straßentunnel. Obwohl vermutlich wesentlich jünger, kann man sich hier bildlich vorstellen, wie in der vorautomobilen Zeit die Ochsenkarren hindurchzogen und an einem kleinen Zollhäuschen Wegezoll für die Abkürzung zahlen mussten.
Nach eineinhalb Stunden bzw. 33 Kilometern erreiche ich wieder eine Wegegabelung. Links unterhalb schaut man auf die kleine Bergbaustadt Reps, und man kann deutlich die neue Autobahn erkennen. Ich gebe es zu, ich habe inzwischen keine große Lust mehr zum Autofahren. Die Straße scheint vom Zustand her nicht besser zu werden, bis Rrëshen sind es noch knapp 30 Kilometer – und im schlimmsten Falle noch einmal mehr als eine Stunde. Ich entscheide mich entgegen meiner Prinzipien, ein Stückchen Autobahn zu fahren.
Die Zubringerstraße hinunter zur Autobahn ist nicht geteert, vier Kilometer Schotterpiste. Die Autobahn hingegen ist ein Traum von Straße. Wenig befahren schlängelt sie sich durch das Tal des Fan-Flusses, in 15 Minuten ist die Anschlusstelle Rrëshen erreicht. Es ist 16 Uhr, Tirana keine 100 Kilometer mehr entfernt. Ich erlebe so etwas wie einen Geschwindigkeitsrausch. Seit fünf Tagen war der vierte Gang Luxus, der Fünfte vollkommen zwecklos. 500 Kilometer, im Durchschnitt 18km/h.
Der Fahrtwind weht mir das erste Mal seit Langem um die Ohren und die Landschaft fliegt an mir vorbei. Eine Stunde bis Tirana, wenn das so weitergeht. Ich beschließe, weiterzufahren. Unterwegs nimmt der Verkehr zu, die Autobahn ist noch nicht ganz fertiggestellt, einige Abschnitte noch als gut ausgebaute Landstraße ausgeführt. Vor der Hauptstadt wird der Verkehr merklich dichter, dennoch kommt man zügig voran. Gegen 17 Uhr erreiche ich die Vororte von Tirana und den internationalen Flughafen der Stadt.
Neun Kilometer südlich des Stadtzentrums liegt der Campingplatz „Tirana“. Von der Autobahn beim größten Einkaufszentrum des Landes, „City Park“, führt eine asphaltierte Straße durch die Vororte, bis nach vier Kilometern eine einen Kilometer lange Schotterpiste abzweigt, an deren Ende der Campingplatz gelegen ist – sehr ruhig und idyllisch direkt an einem See.
Zu essen gibt es leider nichts, ein Café/eine Bar ist gleich vorne an der Straße – ein guter Kilometer unbeleuchtete Schotterpiste. Ich koche mir das erste Mal in Albanien selber etwas zu essen und genieße ein heimisches Astra – es hat sich während der Fahrt im Kühlschrank überraschend kühl gehalten.
Morgen möchte ich nach Tirana. Das Taxi kostet 10,-€, erklärt die nette Campingplatzbetreiberin. Man kann auch mit dem Furgon (Kleinbus) vorne von der Asphaltstraße zum Einkaufszentrum fahren und von dort den regelmäßig verkehrenden Linienbus nehmen. Sagt mir mehr zu, woraufhin ich gefragt werde, wann ich denn aufbrechen möchte. Gegen 10, antworte ich, woraufhin die Campingplatzbetreiberin spontan den Fahrer des Furgons anruft. Er hole mich morgen um zehn direkt hier am Campingplatz ab, dann bräuchte ich nicht zur Straße zu laufen. Ich bin gespannt.