Junger Mann zum Mitreisen gesucht
Sonntag, 14.08.2016
Um neun Uhr hatte ich mich mit den beiden Erfurtern und dem Amerikaner verabredet. Die beiden Jungs müssen um 13 Uhr in Koplik den den Bus nach Lepushë bekommen, der Amerikaner möchte von Shkodër mit dem Bus nach Tirana reisen. Ich habe eine weitere Nacht verloren, da ich ursprünglich nur eine Nacht in Theth bleiben wollte, und werde anstatt heute nach Shkodër zurückzukehren direkt weiter zum Koman-See fahren.
Per Anhalter zu fahren hat in Albanien noch immer Tradition. Während der Diktatur Enver Hoxhas war es Privatpersonen nicht gestattet, ein Auto zu besitzen; insgesamt waren schätzungsweise ganze 600 PKW in Albanien zugelassen. Man half sich, man nahm sich gegenseitig mit.
In Theth gibt es einen mehrmals täglich verkehrenden Kleinbus nach Koplik und/oder Shkodër. Dieser Kostet 10,-€ für die einfache Fahrt; für Touristen erschwinglich, für Einheimische 10% eines Monatsverdienstes. Und so versuchen sogar die Gasthausbetreiber ihre Gäste anzuhalten, andere Gäste mit dem Auto mitzunehmen, da der Busfahrer bei vollbesetztem Bus jeden Tag bereits ein Vielfaches eines durchschnittlichen Monatslohnes einnimmt.
Ich wache wieder früh auf, die Sonne scheint und das Dorf erwacht. Noch habe ich eine halbe Stunde Zeit. Ich entschließe mich, noch schnell einen Ausflug zur Kirche von Theth zu machen, einem beliebten Fotomotiv. Die Einheimischen grüßen unterwegs freundlich, ich genieße noch einmal die Ruhe und Athmosphäre längst vergangener Zeiten. Eine SMS erreicht mich: Das Frühstück der beiden Jungs und des Amerikaners hat sich etwas verzögert, sie kommen eine halbe Stunde später. Ich brauche also nicht zurück hetzen. „Zeit“ ist hier unten sowieso relativ.
Es ist halb zehn, als wir Theth verlassen. In der ersten Kurve hinter der Brücke steht ein Einheimischer und möchte nach Koplik. Passt super, auf der Box, in der sonst die Fritz-Kola-Kiste steht, ist noch Platz. So rumpeln wir zu fünft die 13 Kilometer bis zur Passhöhe hinauf; im zweiten Anlauf schafft das Didimobil sogar die Riesenschlaglöcher, die bereits auf dem Hinweg Probleme bereiteten. In guten zwei Stunden sind wir oben.
Auf der Passhöhe befindet sich ein kleines Gasthaus. Wir halten an, unser Mitreisender genehmigt sich einen Kaffee und wir genießen ein letztes Mal den Blick über die Berge. Nächstes, spätestens übernächstes Jahr soll die Straße komplett asphaltiert sein. Bis zur Brücke in der Dorfmitte. Man erhofft sich einen touristischen Aufschwung, die Idylle und Abgeschiedenheit, die das Dorf für Besucher derzeit so faszinierend macht, wird dann – so befürchte ich – ein für alle Mal verschwinden.
Wir schauen und trinken zu langsam, die Zeit drängt. Noch eine knappe Stunde bis zur Busabfahrt in Koplik. Lepushë ist im Nachbartal, ich kam dort auf dem Hinweg nach Albanien vorbei. Muss man nicht unbedingt gesehen haben, wenn man in Theth war, also biete ich an, die Beiden alternativ mit zum Koman-See zu nehmen, der ihnen so gar nichts sagt. Das gebuchte Hotel lässt sich allerdings nicht stornieren.
Je näher man Koplik kommt, desto schlechter wird die Straße und desto dichter wird der Verkehr. Um drei Minuten nach 13 Uhr erreichen wir das Zentrum von Koplik. Der Albaner bedankt sich herzlich. Es stehen eine Menge Kleinbusse zur Abfahrt bereit, aber irgendwie haben die beiden Jungs keine Lust auf Busfahren und entschließen sich spontan, mit zum Koman-See zu kommen.
In Shkodër verabschieden wir uns von dem Amerikaner, er will sich übermorgen mit den beiden Erfurtern in Tirana treffen. Tirana steht eigentlich nicht auf meinem Programm, aber wer weiß?
Wir haben Hunger, und da die Straße sowieso an „meinem“ Campingplatz in Shkodër vorbeiführt, gehen wir im Restaurant Legjenda fein essen. Die Jungs sind begeistert, das Essen vorzüglich und die Rechnung zeigt 15,-€ für alle drei.
Kurz hinter Shkodër zweigt die SH-25 nach Koman ab. Wir sind nahezu die einzigen Verkehrsteilnehmer auf der knapp 50 Kilometer langen Straße, deren Zustand stark sanierungsbedürftig ist. Koman ist eine kleine Siedlung am Ende der Straße und Namensgeber für einen 115 Meter hohen Staudamm, der den Drin seit den 1980er Jahren zum Koman-See aufstaut.
Gute zwei Stunden dauert die Fahrt von Shkodër bis Koman. Hier soll es einen tollen Campingplatz geben, Camping Temali. Wir beschließen, erst einmal zum Fähranleger zu fahren und Tickets für die morgige Fähre zu besorgen, die nur einmal am Tag morgens um neun von Koman nach Fierzë aufbricht.
Über eine altersschwache Brücke und durch einen abenteuerlichen Betriebstunnel vom Kraftwerk durch den Berg erreichen wir eine winzige Plattform am Ende des Tunnels. Wir werden sogleich von einem netten Ticketverkäufer angesprochen. Heute fährt nichts mehr, morgen um neun sei aber noch genügend Platz auf der Fähre. Der Tarif für den Bulli wird per Quadratmeter berechnet. Länge mal Breite laut Fahrzeugschein mal fünf Euro, jede Person noch einmal fünf Euro. Günstig ist das Unterfangen nicht, der Tarif nicht verhandelbar.
Wir fahren zurück in den Ort und suchen den Campingplatz. Direkt an der Brücke weist ein buntes Schild auf einen merkwürdig erscheinenden Campingplatz namens „Natura“. Wir bleiben auf der Brücke stehen, schauen uns im mehr schlecht als recht funktionierenden Internet nach dem Ort des ausgewählten Campingplatzes um. Fehlanzeige. Ein Anruf beim Campingplatz bringt uns auch nicht weiter: Jetzt sei niemand mehr da, kommen Sie doch morgen wieder.
Na gut, wir versuchen unser Glück auf dem dubios wirkenden Campingplatz „Natura“. Direkt hinter der Einfahrt hinter hohen Mauern verborgen befindet sich tatsächlich ein kleiner, mit viel Liebe geführter Campingplatz mit Hotel und Restaurant. Kleine Bäume spenden Schatten, die Brücke dient als Hotel, Restaurant und Sanitäreinrichtung und wurde in pastellrosa angemalt. Ein Kleinod für sieben Euro die Nacht, mit frisch gefangenem Fisch vom Holzkohlegrill und Spaghetti für einen Euro dreißig. Wir genießen den Abend bei leckerem Bier für einen Euro und freuen uns auf die Schifffahrt morgen.