Shkodër
Donnerstag, 11.08.2016
Dass ich wirklich gut geschlafen habe, kann ich nicht wirklich behaupten. Gegen 2 Uhr nachts zog ein heftiges Gewitter mit starken Sturmböen über den Campingplatz. Zwar brachte es etwas Abkühlung mit sich, die einem im Bulli jedoch wenig nützt, wenn man aufgrund des Regens die Fenster geschlossen hält. Nach einer guten Stunde war der Spuk dann wieder vorbei und ich konnte – jetzt etwas kühler – weiterschlafen, bis um viertel vor fünf Musik erklang. Es war der Muezzin der an dem anderen Flussufer gelegenen Moschee. Ich werde mich nie wieder über Pastoren beschweren, die morgens um sieben ihre Glocken läuten.
Auf dem heutigen Tagesprogramm steht eigentlich eine Fahrt nach Thethi, dem ehemals abgeschiedensten Ort Europas. Gestern abend zogen jedoch bereits dichte Wolken über die Berge und hüllten die Gipfel in Watte. Die Straße selber soll nicht asphaltiert und in einem mehr als desolaten Zustand sein, von daher wollte ich den heutigen Morgen abwarten.
Die Berge liegen noch immer in den Wolken, und so entscheide ich mich, noch einen Tag zu warten. Shkodër stand eigentlich gar nicht auf meinem Programm, außer als Zwischenübernachtung.
An der Rezeption verlängere ich meinen Aufenthalt problemlos bis morgen und frage nach einer Bank. Geld umtauschen könne ich auch hier am Campingplatz. Nach der Erfahrung aus Kroatien bin ich skeptisch, willige aber ein, da Geld wechseln in Albanien generell nicht wirklich einfach sein soll. Überrascht bin ich ob des Wechselkurses: Auf den Cent genau wird zum tagesaktuellen Kurs gewechselt – ohne Gebühren, ohne Kleingedrucktes.
Ich erkundige mich nach einem Bus in die Stadt, zu Fuß sind es doch etwa drei Kilometer bis ins Zentrum der 110.000-Einwohner-Stadt und um halb elf morgens haben wir bereits über 30°C. Etwa alle 15 Minuten führe der Bus direkt oben an der Straße und koste 30 LEK (wir erinnern uns: 136,-LEK sind 1,€…). Das kleinste Geld, was ich nach dem Wechseln habe, ist ein 1.000er-Schein, und so werden mir 30,-LEK für den Bus geschenkt. Ich möchte mich mit einem 2-Euro-Stück revanchieren, was aber vehement abgelehnt wird. „Welcome to Shkodra!“
An der völlig verstopften Hauptstraße finde ich eine Bushaltestelle – allerdings in die falsche Richtung. Auf der gegenüberliegenden Seite keine Spur von Haltestelle. Als sich ein Bus durch das Gewühl in die stadtauswärtige Richtung kämpft, frage ich den Fahrer nach der Haltestelle: „Einfach da drüben“, meine ich zu verstehen. Und tatsächlich, ein paar Minuten später kommt ein Bus, ich signalisiere ihm, dass ich gerne mitfahren würde und er hält auch ohne Haltestellenschild an. Die nette Schaffnerin kassiert die 30 Geld und deutet an, mir an der „Librari“ Bescheid zu geben. Dort soll das Zentrum sein.
Etwa 15 Minuten später befinde ich mich mitten im Zentrum von Shkodra. Zu meiner Rechten erblicke ich eine Moschee. Sieht interessant aus, somit wäre die Richtung schon einmal vorgegeben.
Direkt neben der Moschee befindet sich die Rruga Kol Idromeno, eine schön gestaltete Fußgängerzone mit vielen renovierten Altbauten und unzähligen Straßencafés, die zum Verweilen einladen.
Was mir direkt auf den ersten paar Metern sehr positiv auffällt ist die Sauberkeit in der Stadt. Überall liest man von massiven Müllproblemen der Albaner, doch zumindest an dieser Vorzeigestraße könnten sich so einige zentraleuropäische Städte eine Scheibe abschneiden.
Was weiterhin auffällt ist die Farbenfrohheit der Gebäude. Auch, wenn viele Gebäude ihre kommunistisch-sozialistische Herkunft nicht verleugnen können, so erstrahlen die meisten Gebäude in frischen Farben und geben so ein ganz eigenes, positives Flair von sich.
Albanien war jahrzehntelang ein von der Regierung verordnetes atheistisches Land, Kirchen verboten. Viele Gotteshäuser wurden in der Zeit jedoch umfunktioniert anstatt abgerissen, und so besticht Shkodër durch eine beachtliche Vielfalt an Gotteshäusern der unterschiedlichsten Glaubensrichtungen in nächster Nähe zueinander.
Desweiteren besticht Shkodër durch eine Vielzahl kleinerer, sehr gepflegter Parkanlagen und generell viel Grün im Stadtbild. In Verbindung mit den vielen kleinen Cafés und Restaurants sowie unzähliger kleiner Läden punktet die Stadt mit einer unerwartet hohen Aufenthaltsqualität.
Zurück in der Fußgängerzone erkunde ich das andere Ende mit seinen Parks und Straßencafés. Ich setze mich in ein gut besuchtes Restaurant und bestelle mir Spaghetti Bolognese für 250 LEK und eine Cola für 80 LEK. Das Essen ist vorzüglich, ich bin satt und zahle zusammen umgerechnet 2,80 Euro. So ganz komme ich mit dem Geld hier noch nicht zurecht.
Mutter Teresa wurde in der Stadt, in der sie lange Zeit lebte und auch zur Schule ging, ein Denkmal gewidmet. Hier treffe ich das erste Mal auf eine rund 20-köpfige Touristengruppe.
In den alleeartigen Nebenstraßen macht das Flanieren entlang vieler kleiner Geschäfte Spaß, ein Flair wie eine entfernte Mischung aus Spanien und Hamburg.
Ich besuche das Museum of Memory, ein kleines, aber feines Museum, welches über die Unterdrückung und Repression der Albaner unter Enver Hoxha in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts informiert. Die DDR muss damals ein Paradies gewesen sein im Vergleich zu Albanien.
Nach dem Museumsbesuch benötige ich ein wenig Zeit, wieder auf positive Gedanken zu kommen und genehmige mir einen Café Frapé in einem Straßencafé. Dass regelmäßig Hochzeiten in aller Öffentlichkeit stattfinden, ist in Albanien eine Selbstverständlichkeit, und so marschiert ein Brautpaar in voller Montur die Fußgängerzone entlang.
Generell kann ich bis jetzt nur Positives über den gemeinen Albaner berichten. Zurückhaltend-gesellig, freundlich, fröhlich, hilfsbereit, gelassen. Ein Menschenschlag, der mir sehr sympathisch ist und mit den Klischees, die so einige Exil-Albaner bei uns aufkommenlassen rein gar nichts gemeinsam hat. 🙂
Am Nachmittag begebe ich mich noch zum Bahnhof von Shkodër. Es soll einen Zug nach Tirana geben; falls die Berge morgen noch immer in den Wolken hängen sollten, wäre das vielleicht eine Idee wert.
Nach regem Zugverkehr sieht es am Bahnhof der fünftgrößten Stadt des Landes hingegen nicht aus. Das Bahnhofsgebäude aus kommunistischer Zeit hat seine besten Jahre bereits hinter sich, obwohl sich der Bahnhofsvorsteher alle Mühe gibt, das Gebäude in Schuss zu halten.
In der verwaisten Bahnhofshalle scheint die Zeit vor Jahrzehnten eingefroren worden zu sein, eine Preistafel verkündet einen Preis von 90 Cent für die einfache Fahrt nach Tirana, 1,50€ für das Retour-Ticket.
Ein einziger Zug fährt täglich vom Bahnhof ab: Morgens um 5.40 nach Tirana, um 16.50 ist er wieder zurück. Gute 3,5 Stunden benötigt er für die etwa 100 Kilometer. Ich glaube, das ist mir dann aber doch zu früh.
Ich mache mich wieder auf den Rückweg, freue mich auf eine erfrischende Dusche auf dem Campingplatz und liebäugel damit, heute Abend noch einmal in dem tollen Restaurant nebenan zu Abend zu essen.
Den richtigen Bus zu finden ist gar nicht so einfach. Zwar steht an der Haltestelle ein Schild mit den drei Buslinien 1, 2 und 4, welche dort fahren sollen, aber kein Fahrplan weit und breit. Zu allem Überfluss schildert jeder Bus eine willkürliche Nummer, sodass lediglich das Ziel entscheidend ist, welches man beim Fahrer erfragen muss. Nachdem der Bus der Linie 11 meinte, er sei die 2, frage ich den Fahrer der Linie 26, der aber weder deutsch noch englisch versteht. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass ich ihn gerade davon überzeugt hätte, die Linie 4 zu sein, und hoffe inständig, dass er tatsächlich am Campingplatz vorbeifährt. Tut er auch, was mich ein wenig erleichtert.
Nach ein wenig Entspannung mit kalter Limo und einer erfrischenden Dusche gibt es zum Tagesabschluss Huhn in Currysauce und ein großes Bier. Großer Teller, perfekt angerichtetes und super zartes Fleisch in einer außerordentlich leckeren Currysauce (Tütensaucen sind in diesem Land noch gänzlich unbekannt) für zusammen sieben Euro. Somit habe ich heute keine zehn Euro für Mittag- und Abendessen zusammen ausgegeben.
Ich bin jetzt zwei Tage in diesem unbekannten Land und fühle mich mehr als wohl. Alle Zweifel, ob ich nicht doch wieder umkehren werde, sind inzwischen restlos verflogen, ich überlege sogar jetzt schon, eventuell meine Freunde zu versetzen und länger zu bleiben anstatt nach Frankreich zu hetzen.
Morgen hoffe ich dann auf freie Sicht auf die Bergkuppen; sternenklar ist die Nacht bereits und Grillen und leider auch Mücken geben sich ein Stelldichein.
Die in Deutschland lebenden „ Albaner“ sind eigentlich Kosovaren.