Heute steht das erste große Highlight dieser Tour auf dem Programm: Die ehemalige Bosnische Ostbahn entlang des Prača Canyon. Wo das Etappenziel liegen wird, weiß ich noch nicht. Nur, dass ich es sicherlich nicht bis nach Montenegro schaffen werde. Bis zum Ende der Prača-Schlucht sind es gute 200 Kilometer, Google Maps schlägt eine Fahrzeit von knapp fünf Stunden vor – ohne Pause, Fotohalt etc.
Kriegsspuren und die Bosnische Ostbahn
Sonntag, 07.08.2016
Ich stelle mir den Wecker auf neun Uhr. Es regnet immer noch, ich stelle den Heizlüfter an und begebe mich in das baufällige sozialistische Sanitärgebäude. Die Dusche ist kalt, auch nach mehreren Minuten will sie nicht wirklich warm werden. Haare waschen muss also heute reichen.
Ich stöpsel das Auto vom Strom und verlasse den Campingplatz. Trotz Regens möchte ich mir heute den bekannten Wasserfall in Jajce anschauen. Ich stelle also das Didimobil in der Stadt ab, krame meine Regenjacke hervor und begebe mich durch einen kleinen Park in Richtung Wasserfall.
Über eine Brücke überquert man die Pliva, die wenig später über den etwa 20 Meter hohen Wasserfall hinunter in die Vrbas-Schlucht stürzt.
Interessanter Weise befindet sich Jajce bereits wieder in Bosnien-Herzegowina. Die unsichtbare Grenze von der Republik Srpska zur Föderation Bosnien und Herzegowina habe ich bereits gestern zwei Kilometer westlich des Campingplatzes am Jezero-See überquert.
Wenig später erreiche ich den Wasserfall. Ein nicht alltäglicher Anblick inmitten eines Ortes macht er fast den Anschein, als sei er künstlich angelegt worden. Ohne Regen könnte man sich hier sicherlich einige Fantasywelten und Sagen ausdenken, die sich hier an dieser Stelle abgespielt haben. Gerade mit den Häusern im Hintergrund ist er eine durchaus beeindruckende Erscheinung.
Ziemlich durchnässt gehe ich zum Didimobil zurück. Gen Osten gibt es eine Hauptstraße, welche einen großen Bogen um einen Berg zu machen scheint, und eine kleine Bergstraße, die durch einige Dörfer führt und eine kilometermäßige Abkürzung darstellt. Ich versuche mich also an der Nebenstraße.
Anfangs ist die nahezu einspurige Straße noch asphaltiert und führt vorbei an bewohnten Häusern. Nach etwa drei Kilometern endet die Asphaltstraße und weicht einem Schotterweg. Die Bebauung hört ebenfalls auf, und man kommt nur sehr langsam vorwärts.
Das Auswärtige Amt warnt davor, in Bosnien abseits von befestigten Straßen zu fahren, da dort teilweise noch immer versteckte Landminen vorhanden sein können. Noch sieht die Straße jedoch befahren aus, und ich wage mich weiter in die Wildnis hinein.
Alle paar hundert Meter befinden sich neben der Straße zerbombte Ruinen von Häusern. Sehr deutliche Überbleibsel des Bosnienkrieges.
Nach einer knappen Stunde bekomme ich irgendwie ein ungutes Gefühl. Seit einer Stunde habe ich keinen einzigen Menschen weit und breit getroffen, und alle in der Karte eingezeichneten Dörfer existieren nicht oder sind nur noch in Ruinen vorhanden. Vor mir liegt eine Gebirgskette, über die der immer enger werdende Schotterweg führen würde.
Da es ebenfalls seit einigen Kilometern kein Mobilfunksignal mehr gibt entscheide ich mich zum Umkehren. Das erste Mal, dass ich auf einer Reise kneife und das Abenteuer abbreche. Zu beklemmend ist einfach die Athmosphäre, und dabei ist der Krieg lange Zeit vorbei. Später werde ich lesen, dass in dieser Region im Krieg regelrechte Massaker an der Dorfbevölkerung stattgefunden haben und die Rebellen sich dort bis zum Schluss des Krieges bittere Gefechte mit den Staatsmilizen geliefert haben. Sämtliche Dörfer auf der Strecke sind seitdem verwaist und die wenigen überlebenden Bewohner nicht wieder zurückgekehrt. Gefahrlos befahrbar soll die Straße dennoch auf ganzer Länge sein.
Über Donja Vakuf und den 927 Meter hohen Komar-Pass führt die Bundesstraße M5 über Turbe nach Travnik. Unterwegs sind neben allgegenwärtigen Spuren des Krieges auch erste Überbleibsel der ehemaligen Bosnischen Ostbahn zu entdecken. Ein Teil dieser lange stillgelegten Schmalspurbahn führt durch den Prača Canyon und ist heute offiziell Teil der M5.
Travnik ist eine mittelgroße Stadt mit rund 55.000 Einwohnern. Ihre Geschichte geht zurück bis ins 14. Jahrhundert und hat eine bewegte Vergangenheit aufzuweisen, von der der gut erhaltene Altstadtkern und eine mittelalterliche Burganlage zeugen. Der Regen und die zuvor „verplemperte“ Zeit bewegen mich jedoch dazu, der Stadt keine weitere Beachtung zu schenken und ich setze sie daher auf eine „To-do“-Liste für ein anderes Mal.
Im weiteren Verlauf ins 100 Kilometer entfernte Sarajevo überlege ich kurz, eine der wenigen Autobahnen Bosniens zu nutzen, entscheide mich dann aber doch getreu meinen Vorsätzen, ohne kostenpflichtige Autobahnen auszukommen und nehme die Landstraße. Die Fahrt durch den Dauerregen zieht sich; nach gut 1,5 Stunden Fahrt und gefühlt dreißig getroffenen Bullis (♥) erreiche ich die Landeshauptstadt Sarajevo. Da ich kein großer Fan davon bin, mit dem Bulli in fremden Städten einen Parkplatz zu suchen um mir die Stadt im Schnellduchgang anzuschauen, und da ich bereits fünf Stunden für etwa 150 Kilometer benötigt hatte beschliesse ich, der Umgehungsstraße zu folgen und Sarajevo im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen.
Das, was man von der Umgehungsstraße aus sehen kann, entsetzt mich. Heruntergekommene Plattenbauten dicht an dicht, gefühlt nichts Schönes, was es in dieser Stadt gibt. Es soll eine tolle Altstadt geben, aber ich bin vom ersten Eindruck her froh, nicht in die Innenstadt gefahren zu sein.
Die Bosnische Ostbahn besaß in Bistrik oberhalb der Stadt einen Schmalspurbahnhof. Von dort hat man einen wunderbaren Blick über Sarajevo. Dennoch reisst mich auch hier nichts vom Hocker, für mich könnte die Stadt durchaus mit Salzgitter konkurrieren. 😉
Der weitere Verlauf der M5 Richtung Prača verläuft größtenteils parallel zur alten Bosnischen Ostbahn, teilweise ist die alte Trasse direkt neben der Straße sichtbar. Kurz hinter Sarajevo überquert man außerdem erneut die Grenze zur Republik Srpska.
Die Bosnische Ostbahn und der Prača Canyon
In Renovica (inzwischen wieder in der Föderation Bosnien und Herzegowina) zweigt eine neuere Straße nach rechts von der M5 ab und leitet den spärlichen Verkehr nach Goražde. Die „offizielle“ M5 verläuft nach wie vor weiter geradeaus auf dem Bahnkörper der ehemaligen Bosnischen Ostbahn, 20 Kilometer lang durch die Schlucht der Prača.
Die Bosnische Ostbahn, heute eine einspurige Schotterstraße, verläuft immer am Rande der Prača, durch über 20 unbeleuchtete, einspurige Eisenbahntunnel. Am Beginn der Straße steht ein großes Warnschild, wer und was dort alles nicht fahren darf und dass die Straße in einem sehr schlechten Zustand sei.
Im Sommer – also bei schönem Wetter – ist die Strecke bei Radfahrern und Wanderern sehr beliebt. Heute werde ich bis auf drei andere Fahrzeuge, denen ich begegnen werde, alleine bleiben.
Über die etwas altersschwache Brücke überquert man übrigens nicht nur die Prača, sondern erneut die Grenze zur Republik Srpska. 😉
Neues U P D A T E (15.08.2020):
Wie die Seite Dangerous Roads (https://www.dangerousroads.org/eastern-europe/bosnia/6401-m5.html) berichtet, wurde inzwischen eine behelfsmäßige Umfahrung der eingestürzten Brücke errichtet, sodass die Straße wieder durchgehend befahrbar ist. 🙂
Vorheriges Update vom 27.09.2017:
Wie dem Kommentar von Michael Tubes zu diesem Beitrag zu entnehmen ist, ist die oben erwähnte Brücke zwischenzeitlich leider abgängig und somit die Piste im Verlauf der Bosnischen Ostbahn entlang des Prača Canyons unterbrochen. Ob dort jemals ein mit Straßenfahrzeugen befahrbarer Ersatz errichtet werden wird, erscheint mir aufgrund der sehr geringen Bedeutung der Piste und anderen, dringenderen Infrastrukturprojekten in der Gegend zum momentanen Zeitpunkt mehr als fraglich.
Eine Fahrt entlang dieser Strecke ist ein einmaliges Erlebnis. Einsam, immer das Rauschen des wilden Flusses im Ohr, neben steil aufragenden Felsen und durch stockfinstere Tunnel mit mehreren hundert Metern Länge windet sich die Piste immer entlang des Flusses.
Zum Glück ist die Straße nur sehr gering befahren, denn Ausweichstellen sucht man in dem engen Canyon vergeblich, da die Bosnische Ostbahn einst eingleisig war.
Nach knapp zwei Stunden ist das Ende des Canyons erreicht. 35 bis 40 Minuten würde die reine Fahrzeit betragen, aber hinter jeder Ecke, hinter jedem Tunnel warten neue Eindrücke, die immer wieder zum Anhalten, Staunen und Fotographieren einladen.
Inzwischen ist es 17 Uhr, gegen 20 Uhr wird es dunkel, also ist langsam die Suche nach einem Campingplatz angesagt.
Die M5 verläuft – auch offiziell ausgeschildert – nach dem Prača Canyon weiter auf der gut ausgebauten Landstraße zwischen Rogatica und Ustiprača, von wo die M5 weiter in Richtung Serbien verläuft. Ich verlasse dort die M5, der ich seit der Grenze zu Kroatien einmal quer durch das Land folgte und begebe mich entlang der Drina in Richtung Goražde, wobei ich erneut die Grenze von Srpska nach Bosnien und Herzegowina überquere. Auf Google Maps entdecke ich einen kleinen Campingplatz in der Nähe von Foča, den ich zielbewusst ansteuere.
Bereits auf der steilen Abfahrt von der Straße hinunter zum Autocamp Drina, welcher sich inzwischen wieder in der Republik Srpska befindet, kommt mir der Besitzer entgegen und heisst mich freundlich willkommen. Für 10,-€ gibt es einen Stellplatz mit Stromanschluss auf dem fast leeren Campingplatz. In einem offenen Steinbungalow befindet sich eine kleine Bar und ein „Restaurant“, wo der Vater der Familie selber am Grill steht und für 7,-€ ein köstliches Abendmahl zaubert. Dazu gibt es einen Wein aus eigener Herstellung. Im Vergleich zum letzten Campingplatz ein Fünf-Sterne-Hotel, das Essen könnte sich bei uns im Edelrestaurant sehen lassen und Gastfreundschaft, Service und Ambiente verdienen das Prädikat „besonders wertvoll“.
Dank eines einwandfreien und schnellen W-Lan lasse ich den Abend dick eingemummelt in dem „Pub“ ausklingen, schmiede Pläne für den nächsten Tag und bekomme wertvolle Tips für weitere Sehenswürdigkeiten in der Gegend. Sicherlich werde ich hier irgendwann noch einmal herkommen.
Hallo Didi,
vielen Dank für Deine tollen Reiseberichte. Im Frühjahr 2020 wollen wir mit dem Fahrrad von Sarajevo nach Visegrad auf der Trasse der Bosnischen Ostbahn fahren. Leider scheint die Brücke über die Praca noch kaputt zu sein. Kannst Du bitte bei Deniz einmal nachfragen, ob die eingestürzte Brücke vielleicht mit Fahrrad oder zu Fuß umgangen werden kann? Manchmal finden Einheimische ja Schleichwege.
Vielen Dank und Schöne Grüße
Lutz
Moin Lutz,
ich kann mir leider beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich an der Stelle, an der sich die beschädigte Brücke befindet, eine alternative Querungsmöglichkeit der Praca besteht. Die Brücke überbrückte in rund 15 Metern Höhe den Fluss, der dort in einer Art Schlucht verläuft, links und rechts verhältnismäßig steile Hänge. Da es die einzige Straße dort ist, die im weiteren Verlauf keinerlei Ortschaften erschließt, wird es leider keine Alternative geben. Da die Trasse im weiteren Verlauf dem Fluss-Canyon folgt und es sich um eine ehemalige Eisenbahntrasse handelt, gibt es unterwegs auch keinerlei Zuwegungen, sodass man die Brücke weiträumig umfahren könnte.
Sollte sich die Brücke nach wie vor in dem Zustand wie von Michael auf den Fotos dokumentiert befinden und die Praca Niedrigwasser führen, könnte man ganz eventuell versuchen, die Räder über die Ruinen der Brücke auf die andere Seite zu bekommen, aber da müsste man sich tatsächlich ein eigenes Bild vor Ort machen. Mobilfunkempfang gibt es in der Schlucht nicht, für den Fall dass dieses Unterfangen schiefgeht.
Wenn Ihr von Sarajewo aus kommt und in Renovica der Bahnstrecke folgt (dort biegt die ausgebaute „neue „M5 nach Süden ab), sind es „nur“ rund fünf Kilometer bis zur Brücke, auch wenn der interessanteste Abschnitt sich leider auf der östlichen Seite der Brücke befindet.
Sollte ich neue Informationen bezüglich des Brückenzustandes erhalten, werde ich das auf jeden Fall hier kundtun.
Liebe Grüße und dennoch viel Spaß auf Eurer Tour,
Didi
Hallo Didi, vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich glaube, wir werden etwas größere Zeitreserven einplanen und den Besuch an der Brücke riskieren. Wenn es nicht geht, kehren wir halt um.
Schöne Grüße und viel Spaß auf Deinen Reisen. Lutz
Es gibt gute Nachrichten:
Laut der Seite https://www.dangerousroads.org/eastern-europe/bosnia/6401-m5.html wurde inzwischen eine behelfsmäßige Umfahrung der eingestürzten Brücke errichtet, sodass die Straße wieder in voller Länge durchgängig befahrbar ist.
Wir sind erst vor 2-3 Tagen mit einer Gruppe von Freunden unterwegs durch den Balkan gewesen. Wir wurden vom Navi durch die im Blog genannte Route geführt. Es war leider eine unnötige Fahrt. Die Brücke wurde noch immer nicht repariert. Der Weg war somit umsonst.
Moin Deniz,
das ist wirklich schade, denn es war eine unglaublich schöne Straße, aber dass die Brücke nicht ersetzt werden wird, war leider abzusehen.
An der Straße gibt es keinerlei Siedlung, lediglich ein Wasserwerk, welches sehr nahe am östlichen Ende liegt und von dort aus angefahren wird. Als „Durchgangsstraße“ mit nicht mehr als zwei Fahrzeugen pro Stunde und einer zwar wesentlich längeren, aber zeitlich schnelleren Route wäre es Geldverschwendung in einem ansonsten vergleichsweise armen und strukturschwachen Land wie Bosnien, gerade diese Brücke wieder aufzubauen. Wünschen würde ich es mir trotzdem, aber da haben die Belange der einheimischen Bevölkerung absoluten Vorrang bei der Investition in tatsächkich benötigte Infrastruktur.
Ich hoffe, Ihr habt dennoch einen schönen Urlaub auf dem sehr sehenswerten und herzlichen Balkan.
Lieben Gruß,
Didi
Es gibt gute Nachrichten:
Laut der Seite https://www.dangerousroads.org/eastern-europe/bosnia/6401-m5.html wurde inzwischen eine behelfsmäßige Umfahrung der eingestürzten Brücke errichtet, sodass die Straße wieder in voller Länge durchgängig befahrbar ist.
Zitat „Über die etwas altersschwache Brücke überquert man übrigens nicht nur die Prača, sondern erneut die Grenze zur Republik Srpska. “
Hallo Didi, die von Dir befahrene Brücke ist leider inzwischen eingestürzt und damit die Stecke nicht mehr befahrbar. Ich bin dort Ende August 2017 nicht weitergekommen und musste über die Berge fahre.
Ist vielleicht als Hinweis/Nachtrag an deine Leser hilfreich.
Foto davon kann ich Dir auch gerne schicken.
Gruß
Michael
Moin Michael,
vielen Dank für die Info, ich werde das gleich einmal aktualisieren. Wenn Du magst, darfst Du mir gerne ein Foto (mit Datumsangabe und gerne auch Wasserzeichen o.ä. von Dir) zukommen lassen, ich würde das dann in Deinem Namen dort mit anhängen.
Ansich sehr schade, dass dieser schöne und urige Weg somit wohl für die nächsten Jahre/Jahrzehnte verloren sein wird, dabei war das auf meiner gesamten Tour noch eine der besseren Brücken, aber die Kosten für die Erneuerung auf einer Schotterpiste, die pro Stunde von vielleicht zwei Fahrzeugen befahren wird, wären in Bosnien in anderen Infrastrukturprojekten für die einheimische Bevölkerung ganz bestimmt sinnvoller angelegt.
Lieben Gruß,
Didi 🙂
Es gibt gute Nachrichten:
Laut der Seite https://www.dangerousroads.org/eastern-europe/bosnia/6401-m5.html wurde inzwischen eine behelfsmäßige Umfahrung der eingestürzten Brücke errichtet, sodass die Straße wieder in voller Länge durchgängig befahrbar ist. 🙂
Klasse Fotos,gute Beschreibung der Strecke. 2008 stand auf der Karte (Freytag § Berndt)“ int. Durchgangstr“.) für die M5 ab Renovica – Visegrad; im strömenden Regen, im CD-Player im Stockdunkeln der Tunnel lief „Sunny“, für die 17Km habe ich 3Std. gebraucht. In jeder Beziehung eine unvergessliche Reise.
Gruß Nandor