Balkan 2016 – Prolog

Wie alles begann

Februar 2016

Alles begann ganz anders, als man denkt: Mit einem gewaltigen, landläufigen Vorurteil. Aber der Reihe nach:

Mit dem Bulli nach Albanien (2016) - Ein Roadtrip von Didi Wöhrmann

„Man reist nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Draußen ist es kalt, ungemütlich, typisch Hamburger Schietwetter. Zeit zu überlegen, wo die diesjährige „große Sommertour“ mit dem Didimobil hinführen könnte. Berge. Vielleicht Frankreich, Verdun soll ganz phantastisch sein. Letztes Jahr kam uns die Idee, einmal nach Venedig zu fahren; Rom wäre auch ein interessantes Ziel. Oder nach Osten. Tschechien hatten wir letztes Jahr scherzhaft als „Transsylvanien“ bezeichnet, warum nicht dieses Jahr dort hinfahren, in den gänzlich unbekannten Osten?

Google Maps

Ich liebe Google Maps, kann mich stundenlang dort umsehen, Ideen sammeln, Orte entdecken, welche ich irgendwann einmal besuchen möchte. Wer mich kennt weiß, dass ich die kleinen Nebenstraßen liebe, auf denen der Weg das Ziel ist und man Land und Leute kennenlernen kann. In der österreischisch-italienischen Grenzregion fanden sich einige sehr sehenswerte Alpenpässe, ich machte mir Notizen, suchte eine sinnvolle Route. Und dann war da plötzlich wieder eine Grenze: Slovenien.

Zu meiner Schulzeit hieß das „Jugoslavien“, die Hauptstadt war Belgrad und meine Eltern schwärmten von der unaussprechlichen Insel „Krk“, auf der sie mit mir als Kind einen Sommerurlaub verbrachten. Heute nennt sich das dazugehörige Land Kroatien, und ich kenne viele Menschen, die dort gerne ihren Urlaub verbringen und viel Positives zu berichten haben. Vielleicht also doch eher nach Osten? An den Plitvizer Seen war ich als Kind, vor dem Balkankrieg, und ich erinnere mich vage, dass es mir dort sehr gefallen hat.

So wurde es langsam Abend, inzwischen war ich auf der Suche nach einer landschaftlich vielversprechenden Route gen Norden nach Transsylvanien, doch die interessanten  Straßen führten weiter östlich: Montenegro war erreicht. Ab und an hatte ich bereits auf Youtube Videos von atemberaubenden Bergstraßen in diesem mehr oder minder unbekannten Land gesehen; eng, mit unbeleuchteten Tunneln. Aber kann man dort gefahrlos mit dem Bulli hinfahren? Korrupte Politzisten, willkürliche Grenzkontrollen, Bandenkriminalität: Es gibt Vieles, was man vom Balkan hört, wenn es sich nicht gerade um Kroatien handelt. Aber eigentlich hat man von Montenegros Landschaft bislang viel gesehen, aber diesbezüglich wenig bis gar nichts gehört oder gelesen. Muss ja kein schlechtes Zeichen sein.

Das große Vorurteil

Auf Google Earth wurde langsam aber sicher Transsylvanien verworfen und Montenegro als Ziel auserkoren. Bilder angeschaut, Straßenverläufe studiert und plötzlich im Osten des Landes auf eine weitere Grenze gestoßen. „Ist das schon Griechenland?“, war mein erster Gedanke. „Das wäre ja auch cool.“ Rausgezoomt. Nein, nicht Griechenland. Albanien! Um Himmels Willen! Nein, ganz bestimmt nicht. Mafia, Drogenhandel, Sodom und Gomorra. Da wird Dir das Auto geklaut und sollten Dich die Kannibalen nicht fressen, kennen die Foltermethoden, wogegen das Mittelalter harmlos erscheint.

Auf keinen Fall kannst Du mit dem Bulli nach Albanien fahren„, soviel stand für mich fest. Aber auf Google Earth darf man sich dennoch einen Blick genehmigen in ein Land, von dem man eigentlich nur weiß, dass es jahrzehntelang das abgeschottetste Land Europas war. Sozusagen das Nordkorea des Westens. 1994 wollte ich schon einmal dorthin – als Tagesausflug von der griechischen Insel Korfu. Man konnte von dort auf Saranda blicken, eine Plattenbaustadt in sozialistischem Einheitsgrau. Die Tagestour war allerdings ausgebucht. Ich stellte mir das Land irgendwie vor wie die DDR – nur in trist, eintönig, grau, dreckig, kaputt.

Trügt der Schein?

Doch dann die ersten Bilder auf Google Earth: Alpenähnliche, saftig grüne Gebirgsketten. Türkisblaue, kristallklare Gebirgsflüsse. Meine Neugierde war geweckt, und ich entdeckte eine kleine Straße, die nach etwa 50 Kilometern im Norden das Land wieder gen Montenegro verließ. Vielleicht sollte man sich doch einmal trauen, zumindest einen Tagesausflug durch dieses gänzlich unbekannte Land zu wagen? Vielleicht ohne anzuhalten, Türen verriegeln und möglichst zügig durchfahren? Als Mutprobe sozusagen?

Es war inzwischen Mitternacht, und ich fing an, im Internet nach Informationen zu Albanien und insbesondere zu den Orten entlang der Strecke zu googeln. Schnell stieß ich auf Reiseblogs. Blogs von Aussteigern, Weltenbummlern, aber auch von Rentnerehepaaren, die mit dem Wohnmobil auf dem Weg nach Griechenland waren. Mit fesselnden und faszinierenden Bildern. Und alle berichteten das Gleiche: Sie wollten „nur schnell durchfahren“ und sind geblieben. Freiwillig. Und noch etwas hatten alle Blogs gemeinsam: Sie begannen mit den Worten: „Man kann doch nicht nach Albanien fahren, das ist viel zu gefährlich…“. Und dann lobten sie dieses Land und vor allen Dingen die Menschen dort in höchsten Tönen. Bedingungslose Gastfreundschaft, hilfsbereit, lebensfroh.

Nach drei oder vier bebilderten Reiseberichten und einem kurzen Check der Seite des Auswärtigen Amtes fiel am frühen Morgen mein Entschluss: Albanien. Ich will nach Albanien! Je mehr ich mich die nächsten Tage mit diesem Land beschäftigte, desto gefestigter wurde mein Entschluss. Ich begann, meinem Umfeld von meiner Reiseplanung zu berichten, und ich erntete ausschließlich Unverständnis. Auch einen Mitfahrer konnte ich nicht finden: „Auf gar keinen Fall!“, „Viel zu gefährlich!“, „Mafia!“. Es sollte meine erste große Reise werden, die ich alleine antreten musste. Ich hätte mich umentscheiden können, aber nach all meinen intensiven Recherchen kam ich zu dem Schluss, lieber heute als morgen dieses wunderbare, touristisch weitgehend unerschlossene, ursprüngliche Land zu besuchen, bevor die ersten Massentouristen das Land entdecken. Ja, ich war sehr positiv beeinflusst und eventuell auch ein wenig geblendet von den durchweg mehr als positiven Eindrücken, die ich vorher im Internet gefunden habe.

2 Replies to “Balkan 2016 – Prolog”

  1. Pingback: Rund um Deutschland 2015 – Teil 9 (D) (NL) (B) Spontan nach Amsterdam & Düsseldorf – Mit dem Didimobil unterwegs

  2. Benedikt Stolberg

    macht echt Spaß zu lesen. Bin im Sommer 2015 in Salzburg in den Zug nach Budapest gestiegen und von dort mit dem Nachtzug nach Belgrad. Allein die Menge an Horrormeldungen im deutschsprachigen Internet über bewaffnete Überfälle auf Zwischenstationen des Nachtzugs, unter den Augen der korrupten Grenzpolizei Serbiens und der Schaffner, bishin zu brutalen Einbrechern in die Abteile, die einen betäuben und berauben, war angsteinflößend. In Wirklichkeit lag ich in einem 6-er Liegewagen mit zwei kleinen Jungs, die Karten gespielt haben und jeweils mit ihrer Oma und ihrer Mutter gereist sind. Habe mich dort so wohl wie bei Freunden zuhause gefühlt. An der ungarisch-serbsichen Grenze, mitten in der Nacht, wurde die Lok gewechselt. Die Polizisten des einen Landes kontrollierten die Ausreise, danach die des Anderen die Einreise. So kannte ich Reisen bis dahin nur aus Erzählungen, man war ja schließlich die EU gewohnt. Anschließend stand der Zug noch eine Weile und sowohl Reisende als auch Beamte beider Länder standen dann auf den Gleisen und rauchten gemeinsam um unterhielten sich laut und fröhlich. Ich war auch voll von Vorurteilen, als ich zwei Tage später die serbisch-kosovarische Grenze überquerte. Ich hatte Bilder von Bomben und Schusswechseln im Kopf. Alles verlief ruhig, wobei man sagen muss, dass hier sehr wohl Schikane von serbischer Seite betrieben wurde: man bekam keinen Ausreisestempel an der Grenze, da die Serben der Meinung sind, man verlasse ihr Land nicht, der Kosovo gehöre ihnen. Die Leute im Bus waren aber alle Albaner (so wie fast alle Bewohner des Kosovo). Außerdem ließ man uns ewig warten, bis wir die Pässe zurückbekamen. Abgesehen davon, dass man uns in jedem Land des Balkan jeweils vom Nachbarland erzählte, dass es dort gefährlich sei und alle Mörder seien, machten wir persönlich keine einzige schlechte Erfahrung und sind überall auf freundliche und sehr herzliche Leute gestoßen. Ich würde jederzeit wieder nach Albanien, Serbien, Kosovo oder Mazedonien fahren und habe auch immer noch Kontakt mit Freunden dort!

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